Ein beliebter Versager will Präsident werden

■ Frankreichs Premierminister Balladur kandidiert als Mitterand-Nachfolger und spaltet damit die eigene Partei, die ja schon einen ehrgeizigen Kandidaten hat

Paris (taz) – Frankreich ist ein großes Land, die Franzosen sind ein großes Volk – das ist die Botschaft des neuesten Kandidaten für den Elysée-Palast, Premierminister Edouard Balladur. In einer von drei Fernsehkanälen und zahlreichen Radiostationen live übertragenen Rede machte er gestern mittag seine Absicht bekannt. Er tat das vor einer vergoldeten Wand, neben den Fotos seiner Enkelkinder und mit dem Gestus desjenigen, der die Weihen des Wahlvolkes bereits innehat.

Der 65jährige gaullistische Politiker, seit 21 Monaten Regierungschef, überraschte niemanden. Zwar hatte er sich selbst vorher nicht geäußert, doch aus seinem Umfeld waren schon vor über einem Jahr erste Rufe nach einem Präsidenten Balladur gekommen. Damals erklärten zwei MinisterInnen aus seinem Kabinett, er habe das Zeug zum Staatschef. Seither wuchs sein Unterstützerkreis unaufhörlich und sein Platz in der Spitze der Hitliste der beliebtesten Politiker des Landes hielt sich hartnäckig. Die politischen Mißerfolge der Regierung Balladur – das Scheitern eines Privatschulgesetzes, das Scheitern eines Mini-Mindestlohnes für Jugendliche, die ungebrochen hohe Arbeitslosigkeit und die bislang drei Ministerrücktritte wegen Korruption – änderten an diesem Phänomen genauso wenig wie die zurückhaltenden, wenig inspirierten öffentlichen Auftritte des Politikers. „Ich verspreche Ihnen nichts“, pflegt Balladur seinen Franzosen mit Tremolo in der Stimme zu sagen, „schenken Sie mir Ihr Vertrauen.“

Die vehementesten Gegner seiner Kandidatur hat Balladur in der eigenen Partei, der RPR, aus der auch sein gegenwärtig aussichtsreichster Gegenkandidat Jacques Chirac kommt. Prominente RPRler nennen Balladurs Kandidatur einen „Verrat“, weil er bei seinem Regierungsantritt schriftlich zugesichert habe, nicht Präsident werden zu wollen.

Balladur begegnete solchen Anfechtungen gestern, indem er von sich selbst sagte: „Ich bin nicht der Kandidat einer Partei.“ Statt von Vorhaben zu reden, zog er Bilanz seiner Regierungszeit. Statt politische Programme zu nennen, erwähnte er General de Gaulle.

Balladur ist der vierte und zugleich aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat der französischen Rechten – nach Chirac, dem Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen und dem Nationalpopulisten Philippe de Villiers, der erst kürzlich aus dem Lager der Regierungsparteien ausgeschieden ist. Auf der Linken, zumal in der immer noch völlig uneinigen sozialistischen Partei, ist kein ernstzunehmender Gegner für die Wahl am 23. April in Sicht. Dorothea Hahn