Abend in der Nacht geklaut

■ Kunstdiebstahl in der Böttcherstraße: Hoetger-Skulptur wurde vom Sockel gerissen

Der Bronzestatue „Abend“ von Bernhard Hoetger wurde die Nacht zum Verhängnis. Unbekannte Kunstliebhaber haben in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag die zarte Frauenfigur aus dem Hoetgerhof in der Böttcherstraße gestohlen. Dort stand sie seit rund fünfzig Jahren, zusammen mit ihren Schwestern „Jugend“ und „Dämmerung“. Die drei gegossenen Grazien bildeten ein Hoetger-Arrangement, das nun völlig auseinadergerissen ist. Denn Schwester „Dämmerung“ wurde gestern sicherheitshalber in das dunkle Innere des Museums geholt.

Der „Abend“ ist eine gegossene „Frau mit lockigem Haar und schmalem Gesicht“, die schamhaft den Blick vor den Passanten zur Seite neigte. Sie führte ein unfreies Leben: Museumsmenschen hatten sie auf einen Steinsockel zementiert und daran mit Eisenstreben befestigt. Wachsame Mitarbeiter der Kunstsammlung in der Böttcherstraße hatten die Eingemauerte noch in der vergangenen Woche geprüft: Sie saß felsenfest.

Doch Marmor, Stein und Eisen bricht. Die Diebe konnten die nur 54 Zentimeter hohe Figur heraushebeln. Unklar ist, wann die Diebe zulangten. Der Roseliushof ist von zwei bis sieben Uhr morgens mit Eisengittern verschlossen. Sportlich veranlagte Menschen können jedoch ohne größere Schwierigkeiten über das Tor klettern. Die Kunsteinsammler hätten aber auch während der Öffnungszeiten ein leichtes Spiel gehabt. In der Nacht nieselte es stark, es war dementsprechend ungemütlich. Nur wenige Menschen waren in dem Hof unterwegs, in dem das Spielcasino, ein Kino und ein Restaurant liegen. Die Polizei wußte gestern nichts genaues. Obwohl der Diebstahl schon morgens um 9.30 Uhr angezeigt worden war, waren die „Kollegen von der Spurensicherung“ bis 15.30 Uhr noch nicht am Tatort gewesen.

Der gestohlene „Abend“ ist für Bremen ein herber Verlust. „Die Figur ist unwiederbringlich“, fürchtet Frau Dr. Anczykowski, Leiterin der Kunstsammlung Böttcherstraße. „Denn es handelt sich um ein Unikat“. „Den Wert kann man gar nicht ermessen“, sagt sie, schätzt den „Abend“ aber auf rund 100.000 Mark. Die Figur von 1912 war 1934 direkt von Bernhard Hoetger gekauft worden. Im Kunsthandel ist sie noch nicht aufgetaucht, Preise für den „Abend“ wurden nie geboten.

Die Skulptur dürfte für einen privaten Sammler bestimmt sein. „Sie ist im Kunsthandel nur schwer abzusetzen“, sagt Dr. Anczykowski. Werke von Bernhard Hoetger werden momentan nur sehr selten angeboten, die Besitzstände sind insofern gewahrt und in der Szene bekannt. An die Stelle des „Abends“ wird eine andere Figur kommen müssen. fok