Die Welt als Schnittfolge

■ Im Friseur werden heute Filme des Situationisten Guy Debord gezeigt

„Die Wahrheit ist in Bewegung“, heißt es mitten in „La Société du Spectacle“ von 1973 einmal über das Leben im Kapitalismus. Und plötzlich scheinen alle Bilder zusammenzufallen: Die Bikini-Mädchen vom Anfang des Films vermengen sich mit Flugzeugträgern im Pazifik; studentische K-Gruppen führen Straßenkampf für die Revolution, während Mao dessenungeachtet Nixon die Hand schüttelt. Der Informationsfluß schwemmt alles mit sich fort – nicht ganz ins Vergessen, doch fast aus dem Sinn.

Im totalen Spektakel, das Guy Debord in einer knapp eineinhalbstündigen Bildermontage aus Unterhaltungsfilmen, Werbefotos und politischen Szenarien zu eigenen Texten aus dem Off nachzeichnet, ist jede Erfahrung bereits zum Symptom eines bestimmten Gesellschafts-Designs geworden. Indem Images über das Leben dominieren, bilden sie auch die Welt bloß als Ware ab. Die soziale Praxis ist nur mehr ein Spielball der Wahrnehmung im Spiegel der Medien; sie werden von einem Zeichensystem bestimmt, das in der Ordnung dieser selbstproduzierten Bilder aufgeht: Ihr Inhalt verschwindet, er wird in der Form der Darstellung eingeebnet. So scheinen die Schlachtformationen eines Clausewitz und die Militäraufmärsche bei Hitler in ihrem Formalismus noch in der Organisation modernen Lebens zwischen Rush- hour und Massentourismus auf.

„Die Welt ist vollständig gefilmt worden“, lautet ein Zwischenkommentar von Debord, den später Paul Virilio für seine Theorie genutzt hat. Bei Debord handelt es sich jedoch noch nicht um den „Sound“ der Simulationstheorie, sondern darum, diese Bilder zu transformieren und für die eigenen Ziele nutzbar zu machen.

Der Situationist tritt ins Geschehen ein: Durch seine Überbietung in der Beschleunigung, dem absurden Spiel mit historischen Dokumenten und Werbeclips wird die Rhetorik der Verführung selbst als Bild entlarvt. Unter der Maske einer absoluten Vereinheitlichung im Spektakel tritt die Zwanghaftigkeit ihrer Mechanismen hervor. Die Zuspitzung zur Apokalypse ist dabei ein Stilmittel, mit dem Guy Debord der Welt als politischem Schauspiel seine Vorstellung der Revolution entgegensetzt.

Im Schnittempo etwa des russischen Dokumentarfilmers Dziga Vertov montiert er Westernschießereien mit Wahlkampfreden oder parallelisiert Hochhausburgen am Pariser Stadtrand mit Fließbandarbeit. Die reale Produktion erscheint auch im Film als Trennung von persönlichen und staatlichen Interessen, die mit jedem Schnitt aufeinanderprallen.

21 Jahre später hat Brigitte Cornand eine dokumentarische Annäherung an das Denken Guy Debords versucht. Ihr Bilder-Mix führt Textzitate aus den sechziger Jahren mit Fernsehaufnahmen aus Tschernobyl und Ruanda zusammen. Doch der Schock über Leichen als probates Mittel einer zeitgemäßen Gegenaufklärung zum Nachrichtenschwall auf CNN funktioniert nicht mehr. Es ist nur noch die Form, die an Debords Cut-up-Technik erinnert, das System selbst ist situationistisch geworden. Von einer traurigen Akkordeonmelodie begleitet, ziehen die Szenen vorbei — wie ein Stern- Jahresbuch. Die Situationistin von heute schaut dem Geschehen ein wenig hilflos zu. Harald Fricke

Guy Debords „La Société du Spectacle“ um 22 Uhr sowie „Guy Debord – son arts et son temps“ um 0 Uhr im Friseur, Kronenstraße 3.