Hardcore- VegetarierInnen

■ betr.: „Früchtchen und Würst chen“, taz vom 5. 1. 95, LeserIn nenbriefe von Timo Weiß, taz vom 9. 1. 95, und Nina Corda, taz vom 12. 1. 95

Liebe Nina, mit großen Genuß habe ich Deinen Brief zum Thema „Hardcore-VegetarierInnen“ gelesen. Ich schreibe Dir, weil Du in Deinem Brief Wissensdurst kundtatest über die Beantwortung der Frage, warum ein Mensch wertvoller sei als ein Tier.

Schon durch das Aufwerfen dieser Frage läßt Du durchblicken, daß Du messerscharf erkannt hast, daß Werte, und damit natürlich auch die Wertfülle oder -losigkeit eines Lebewesens oder einer Sache, eine äußerst subjektive Sache sind. Ja, Du hast recht: Objektiv gibt es keinen Grund dafür, warum gerade ein Mensch wertvoller sein sollte als irgendein Ex-Schwein, als es, wohlgemerkt, noch nicht beim Fleischer war. Das Ganze könnte höchstens damit zusammenhängen, daß man vielleicht aus rein biologisch-triebhaften Gründen seine Artgenossen als wertvoller ansieht als andere Lebewesen, daß sozusagen eine stillschweigende Übereinkunft, die aber durch keine unanfechtbaren Erkenntnisse einer universal gültigen Wertehierarchie gesichert ist, zwischen uns und unseren Artgenossen herrscht. So wird es wohl sein: Ich habe jedenfalls noch niemanden getroffen, der sich freiwillig seinem Hausschwein geopfert hätte.

Aber, liebe Nina, vielleicht kann Dir ein Hinweis auf unser Strafgesetzbuch Deine Sorgen bezüglich einer ungerechtfertigten Unterbewertung der Tiere nehmen. Da sagt doch der Paragraph 303 Abs. 2, daß der Versuch der Sachbeschädigung einer Sache – und als Sache zählt bei den Juristen auch das Tier: ungeschickte Terminologie, gebe ich zu – strafbar ist. Und wenn Du dann mal in den Paragraph 223 über die Körperverletzung guckst, stellst Du rasch fest, daß da der Versuch straflos ausgeht, sprich gar nicht erwähnt wird. Konkret bedeutet das: Wenn Du eines Tages mal voller Wut auf Deinen Nachbarn, der gerade mit seinem Hund spazieren geht, zurennen solltest und versuchtest, den einen oder den anderen mit einem gezielten Handkantenschlag niederzustrecken, beide aber natürlich wegen ihrer Behendigkeit verfehltest, so könnte Dir der Staatsanwalt keinen Vorwurf daraus machen, daß Du Deinem Nachbarn an den Kragen wolltest. Daß Du es aber auch auf dieses arme Tier abgesehen hattest, das würde Dir eine Anklage wegen [des Versuchs der ...? d.sin] Sachbeschädigung einbringen. Was willst Du mehr? Bernhard Kresse, Paris