Wechselspiel

■ betr.: „Grenzgänger als Grenzfall“ (Wolfgang Templin soll aus der grünen Partei austreten), taz vom 14. 1. 95

[...] Was hat der Fall der ehemaligen SS-Aufseherin Pietzner- Kunz hier zu suchen? Wolfgang Templin hat mit diesem Fall nichts zu tun. Siegmar Faust und Ursula Popiolek, die Leiterin der Gedenkbibliothek, waren es gewesen, die von Pietzner Geld genommen und ihre Verwicklung verschwiegen hatten, nicht Templin. Templin hat nach Bekanntwerden des Falles den Rücktritt von Faust und Popiolek als Mitglieder des Vorstandes der Gedenkbibliothek gefordert. Templin vertritt die Auffassung, daß Popiolek ihren Posten als Leiterin der Bibliothek räumen muß.

Templin hat öffentlich kritisiert, daß Pietzner als politischer Häftling rehabilitiert wurde. Und er hat öffentlich zum Ausdruck gebracht, daß für ihn schon die reine Mitgliedschaft in der SS ein Ausschließungsgrund für eine Entschädigungszahlung ist. Weiß Erich Rathfelder das alles – und suggeriert das Gegenteil? Weiß er es nicht? Warum meldet er sich dann derart unqualifiziert zu Wort?

Welche unbequemen Fragen meint Rathfelder an Templin richten zu müssen? Und warum formuliert er sie nicht an Ort und Stelle? So erinnert der Kommentar an die Herangehensweise von Gremlizas Junger Welt, die demagogisch nahelegte, Bärbel Bohley und Jürgen Fuchs hätten vom Fall Pietzner gewußt (Überschrift: „Merkwüdig ahnungslos – Bohley, Fuchs und die Wiedergutmachung für SS- Leute“).

Was Wolfgang Templin vorzuwerfen ist, daß er auf der Mitgliederversammlung des Bibliothek- Vereins Anfang Januar die öffentliche Diskussion darüber mitverhindert hat. Er tat es aus taktischen Erwägungen – und das war grundfalsch. Aber er selber, die politische Person, führt die Diskussion und bekennt Farbe darin.

Die rechte Tradition des Totalitarismus erhebt in Europa erneut ihr fürchterliches Haupt, schreibt Erich Rathfelder richtig. Aber warum vergißt er, daß, wie im ehemaligen Jugoslawien, zur selben Zeit die (pseudo-)„linke“ Tradition, die stalinistische, es ist, die schießt. Beide totalitären Traditionen sind fürchterlich. Und vor allem: Beide agieren im Wechselspiel. Jede positioniert und rechtfertigt sich mit dem Verweis auf die andere. Das heißt deshalb auch: Man muß sich auch gegen den Mißbrauch des Antifaschismus für stalinistische Politik wenden, genauso wie gegen den Mißbrauch des Anti-Kommunismus/Stalinismus für eine, um im Bild zu bleiben, rechts-totalitäre Politik. Thomas Moser, Köln