Fürsorgliche Gangster

■ Die Geiselnahme im November war offenbar weniger brutal als zunächst dargestellt

Berlin (taz) – Zwischen Geiseln und ihren Entführern bilden sich, das ist bekannt, „Schicksalsgemeinschaften“. Aufgrund der besonderen Situation entwickeln Opfer und Täter eine enge Beziehung, deren Grundlage erzwungenes Vertrauen und die Furcht vor einem gewaltsamen Angriff der Polizei bilden. Besonders intensiv schien nach einem „Panorama“- Bericht diese Beziehung zwischen den Santa-Fu-Ausbrechern und ihren Geiseln Anfang November letzten Jahres. Die ausgebrochenen Häftlinge, der „Macheten- Mörder“ Raymond Albert und der „Knast-Schlosser“ Gerhard Polak, haben ihre Opfer ausgesprochen zuvorkommend und höflich behandelt. So berichtet eine gekidnappte Polizistin in den Vernehmungsprotokollen, daß die beiden „ganz lieb“ waren, ihr Kollege spricht am Schluß von einem „kumpelhaften“ Verhältnis. Der Polizist half, in Fulda eine geeignete Bank für den Überfall auszusuchen. Zum Abschied wünschten die Gangster der Polizistin Silke S. „viel Glück im Beruf“, sie antwortete: „Viel Erfolg bei der Flucht!“

Auch im Umgang mit den Geiseln, die die Gangster später in Hötzelsroda nahmen, verhielten sich die Verbrecher freundlich. Eine Geisel war von einem Schuß am Unterarm verletzt worden. Daraufhin steuerten die Gangster mit den Worten „Gesundheit geht vor“ das Krankenhaus Gotha an. Bei der Freilassung fand der Mann in seiner Jackentache 10.000 Mark aus dem Bankraub. Auch schenkt nach ersten Ermittlungsergebnissen die Staatsanwaltschaft der früheren Darstellung der Polizei, daß die Entführer Albert und Polak in zwei Fällen gezielt auf Beamte geschossen hätten, keinen Glauben. Sie geht nur von Warnschüssen aus. Entsprechend lautet der Haftbefehl neben Geiselnahme nicht auf versuchten Mord, sondern nur auf Widerstand gegen die Staatsgewalt. ci