Jelzins Truppen erobern eine Ruine

■ Grosnys Präsidentenpalast von russischen Soldaten besetzt / Kohl bleibt seinem Freund Boris treu

Grosny/Bonn (AFP/AP/taz) – Auf dem Präsidentenpalast in Grosny weht die russische Flagge. Seit fast drei Wochen war er von den Panzern der russischen Armee beschossen worden, in der Nacht auf Donnerstag zogen sich die tschetschenischen Verteidiger aus dem Symbol der Unabhängigkeit ihrer Republik zurück. Ausschlaggebend für die Räumung war nach Angaben eines Verteidigers eine Bombe, die durch das gesamte bereits schwer beschädigte Gebäude hindurch im Kellergeschoß einschlug. Der Palast, so der Tschetschene, sei nun völlig zerstört und habe damit jeden Wert verloren. Zuvor hatten die tschetschenischen Soldaten ihre russichen Kriegsgefangenen aus dem Gebäude gebracht. Gestern mittag wurde der Präsidentenpalast dann von den russischen Truppen besetzt. Mit dem Rückzug der Verteidiger befindet sich nun der größte Teil des Stadtzentrums von Grosny in russischer Hand. Es war zunächst nicht klar, ob die Tschetschenen den Kampf um das Zentrum der Hauptstadt fortsetzen oder sich in die Berge zurückziehen. In Grosny herrschte nach unablässigem nächtlichen Artillerie- und Raketenfeuer der Russen gestern den ganzen Tag über relative Ruhe.

Scheinbar unbeeindruckt von der Übernahme des Präsidentenpalastes in Grosny verschärfte in Moskau der russische Föderationsrat, das Oberhaus des Parlaments, seine Kritik an Präsident Boris Jelzin. Der Rat ging sogar so weit, eine Entschließung vorzubereiten, in der ein Absetzungsverfahren gegen Jelzin wegen des Krieges in Tschetschenien gefordert wird. Abgeordnete äußerten am Rande der Sitzung aber die Einschätzung, daß die Resolution nicht die notwendigen 90 der insgesamt 178 Stimmen bekommen werde. Zugleich fordert die Resolution, daß die militärischen Operationen der russischen Streitkräfte in Tschetschenien für illegal erklärt werden. Eine Untersuchungskommission des Parlaments solle die Ereignisse in der abtrünnigen Kaukasusrepublik aufklären, außerdem solle die Duma ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung verabschieden.

Über den Tschetschenien-Konflikt wurde gestern auch im Bonner Bundestag debattiert. Die Verabschiedung einer Protestresolution wurde auf den heutigen Freitag verschoben, da sich die Fraktionen zuvor auf einen gemeinsamen Text einigen wollten. Für Unruhe sorgte ein vom Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, Joschka Fischer, verlesener Brief aus dem Auswärtigen Amt zum Tschetschenienkrieg. In dem Schreiben vom 12. Januar heißt es wörtlich: „Allerdings teilt die Bundesregierung die in der Öffentlichkeit häufig geäußerte Einschätzung nicht, daß in Tschetschenien von seiten der russischen Regierung gezielt gegen ein wehrloses, unschuldiges Volk Krieg geführt werde. Tatsächlich kämpfen die russischen Truppen in Tschetschenien, wie deren hohe Verluste zeigen, gegen schwerbewaffnete illegale Einheiten von erheblicher Kampfstärke, die sich in Grosny verschanzt haben.“ Außenminister Klaus Kinkel bezeichnete das Verlesen des Briefes als „billig“, distanzierte sich aber von dem Inhalt. Er übernehme für das Schreiben eines Legationsrates aus seinem Hause die politische Verantwortung. Andererseits blieben jedoch sowohl Kinkel als auch Bundeskanzler Kohl bei ihrer bisherigen Position zu Jelzin. Kohl wörtlich: „Ich bin nicht bereit, ihn abzuschreiben, auch wenn er Fehler gemacht hat.“

Fast keine Rolle spielten in der Debatte des Bundestags mögliche Wirtschaftssanktionen gegen Rußland. Auch Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt will die für die kommende Woche geplante Tagung des deutsch-russischen Kooperationsrates in St. Petersburg nicht absagen. Dagegen erklärte EU-Kommissar Hans van den Broek, die EU werde die voriges Jahr mit Rußland paraphierten Verträge über engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit vorerst nicht unterzeichnet. her Seiten 4 und 13