■ Straßmanns kleine Warenkunde
: Der Stehsammler

Ein Stehsammler steht im Walde ganz still und stumm. Rehe schlendern vorbei, schnuppern kurz und ziehen weiter. Schnecken lecken den Tau vom Stehsammler, Marienkäfer machen Zwischenstation auf seiner geschwungenen Flanke. Ein kleiner Trupp steppender Uhus passiert den Stehsammler und salutiert. Aus dem halbhohen Ilex, der das Idyll säumt, ruckt ein erst jüngst ausgewildertes Meerschweinchen.

Ein wolliger Siebenschläfer reckt sein Näschen in die Höhe, atmet angetan die kalte Märzluft ein und murmelt: „Methanol...“ Seine Partnerin, eine gutaussehende Mittfünfzigerin in einem rotweiß gestreiften Polyamid-Tanga, wendet ein: „Nach einer längst verwehten dpa-Meldung riechen neugeborene Sterne nach Methanol!“ Der Siebenschläfer trollt sich maulend, während seine Partnerin zum Handy greift.

Um die Mittagszeit hat sich im Wald ein Auflauf gebildet. Die Haselmauspolizei hat Mühe, die Schaulustigen am Überklettern der Absperrung zu hindern, mit der der Stehsammler geschützt werden soll. Es hat sich nämlich im Wald herumgesprochen, daß Professor Immo Pulver, der anerkannte Lebensmittelrechtler, seit einigen Stunden den Stehsammler untersucht. Schließlich spricht er in die Mikrophone der versammelten Weltpresse seine vernichtende Diagnose: „Ein Acryl-Stehsammler!“

Entsetzt weicht die Masse zurück, drängt, stolpert, stürzt übereinander, in der anschließenden Panik werden achtundzwanzig Kerbtiere zerquetscht. Jeder hier im Wald kennt die Schriften der Alten, in denen vom Acrylstehsammler als einem Zeichen für das Ende der Welt gesprochen wird. Grauwölfe fallen auf die Knie und beten laut. Eine Blattwanzenfamilie vollzieht die Nottaufe an ihrem Jüngsten. Überall im Wald werden wohlriechende Spezereien entzündet. Der Stehsammler aber steht und schweiget.

Um Mitternacht geschieht Unerhörtes im Wald. Eine Schar dunkelgekleideter Wasserläufer nähert sich, von den Wachen unbemerkt, dem Acrylstehsammler. Sie machen sich am dem unseligen Objekt zu schaffen und verschwinden so heimlich, wie sie gekommen sind.

Am nächsten Morgen versammeln sich wieder betende, wehklagende und Geißeln schwingende Waldbewohner um den Stehsammler und - erstarren. Eine ungeheuerliche Gotteslästerung! Ein Sakrileg sondergleichen! Unfaßlich!

Die Menge stöhnt auf. Ganz unten am Stehsammler, wo sich das Eingriffloch befindet, haben Unbekannte ein Plakat befestigt, auf dem das teuflischste aller Wörter zu lesen ist: Hähnchenbruststreifen! BuS