Neu im Kino: „Smoking/No Smoking“ von Alain Resnais, ein cineastischer Beitrag zur Frage entweder/oder

“Was wäre wohl gewesen wenn....?“ Wer stellt sich diese Frage nicht, denn unser Schicksal hängt von scheinbar ganz harmlosen Entscheidungen, Gesten und Zufällen ab. Der Eine wäre nie geboren worden, wenn sein Großvater nicht seiner Großmutter einmal ein Glas Wein über den Rock geschüttet hätte, und eine Andere wäre auch heute noch froh und glücklich, wenn sie ihren Mann nicht mit ihrer alten Schulfreundin bekannt gemacht hätte.

Alain Resnais' Filmdoublette geht diesem ewigen Kitzel des „ was wäre gewesen, wenn ...?“ mit einer abenteuerlichen Spielanordnung auf den Grund: In „Smoking“ raucht eine Filmperson eine Zigarette – in „No Smoking“ läßt sie nach kurzem Zögern die Finger von der Zigarettenschachtel, und ausgehend von diesen Entscheidungen entwickeln sich die beiden Filme in völlig verschiedene Richtungen. Aber damit noch nicht genug. Im Laufe der Filme gibt es immer wieder solche Schnittstellen: eine Geschichte wird durchgespielt, dann erscheint der Zwischentitel „oder“ auf der Leinwand, eine Filmperson reagiert ein wenig anders und wir erfahren die daraus resultierende Alternativgeschichte. Insgesamt 16 verschiedene Handlungsstränge reiht Resnais so aneinander – die beiden Filme sind zusammen knapp 5 Stunden lang und basieren auf acht Theaterstücken von Alan Ayckbourn.

So exzentrisch die Konstruktion diese Filmprojekts auch ist, in Stil und Inhalt verläßt Resnais nie die Grenzen des Boulevard-Theaters. Stattdessen spielt er ironisch mit den Klischees: ein saufender Schuldirektor, seine frustrierte Frau, ihr stürmischer Gärtner und die naive Hausangstellte. Personen wie aus dem Bilderbuch und tatsächlich stellt sie Resnais zu Beginn des Filmes als gezeichnete Comicfiguren vor.

Auch die Spielorte sind betont künstlich und flach gehalten: alles passiert in einer idealisierten englischen Landschaft, die offensichtlich mit viel Freude am Detail im Studio aufgebaut wurde. Alle neun Filmfiguren werden von den beiden Schauspielern Sabine Azema und Pierre Arditi gespielt.

„Smoking / No Smoking“ ist trotz der extremen Länge eine erstaunlich leichte Kinokost: amüsant aber nicht so witzig, daß man laut loslachen muß. Die Handlung plätschert oft so dahin, manchmal knapp an der Kante zur Langeweile – der Film läßt dem Zuschauer Zeit, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen und dabei genauso zu spekulieren wie Ayckbourn und Resnais. Und durch diese hinterhältige Finte kann uns der Film dann doch ganz gewaltig packen – denn seine Konsequenz ist wahrhaft beängstigend. Sind wir, was wir heute sind nur, weil vielleicht Irgendjemand, irgendwann sich einmal entschied, eine Zigarette zu rauchen oder nicht?

Wilfried Hippen

Cinema 20.30 Uhr /französisches Original mit Untertiteln