Ein Außenseiter aus Downtown

Im Schatten von Jackson Pollock introvertierte Bilder schaffen: Das Saarlandmuseum in Saarbrücken zeigt die erste deutsche Retrospektive des New Yorker Malers Franz Kline, der mitunter ganz ohne Bodenkontakt malte  ■ Von Thomas Wiercinski

„Swanee“, eine Farbkomposition aus verwischten Blautönen, oder die schwimmenden Linien der Zeichnung „Rice Paper Abstract“: Die erste deutsche Retrospektive des abstrakten New Yorkers Franz Kline paßt nach Saarbrücken. Immerhin besitzt die Stadt eine der größten Informel- Sammlungen, und so fühlt sich das Publikum mitunter an vertraute Bilder erinnert, wie etwa an K.R.H. Sonderborgs „New York Park Avenue South 333“ von 1961. Doch die Bilder von Kline sind introvertiert und ruhig, während man bei Sonderborg eine äußerste Erregung spürt.

Franz Kline, 1920 in Wilkes- Barre, Pennsylvania, geboren, stand in der Publikumsgunst immer im Schatten seines Freundes Jackson Pollock, beide Vertreter der sogenannten New York School beziehungsweise des „Abstract Expressionism“. Dabei lagen ihre künstlerischen Schwerpunkte jedoch weit auseinander, so wie die Gruppe selbst auch aus heterogenen Künstlern bestand. Die „Uptown“-Maler gestalteten große Farbflächen – Barnett Newman, Marc Rothko, Clyfford Still gehörten zu ihnen. Die „Downtown“- Maler hingegen, die sich als Außenseiterkultur empfanden, entwickelten eine gestische Malerei. Sie lebten „in der Stadt“, und brachten dabei gemachte Erfahrungen in ihre Bilder ein. Beide Künstlerkreise verband aber die Suche nach einem Neuanfang nach den Erschütterungen des Zweiten Weltkrieges. Sie wollten der bis dato fast durchweg provinziellen realistischen American-Scene-Malerei der 30er Jahre eine neue Malerei entgegenstellen und suchten nach einem eigenen Weg, der über die Klassische Moderne Europas hinausführen sollte. Kline entwickelte sich im Downtown-Kreis zu einer Leitfigur. Die Cedar-Tavern, in der Kline und Pollock regelmäßig Gäste waren, wurde zu einem Treffpunkt der Künstler, die alles andere als bohèmehaft waren. Denn als Bohème inszenierte sich damals schon das kulturelle Establishment. Hier kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen über Kunst. Im Atelier war Kline, wie Freunde berichten, eher wortkarg, über die eigene Arbeit äußerte sich der Maler ohnehin nur selten.

Am Anfang der Saarbrücker Ausstellung stehen graphische Arbeiten kleineren Formats: Ein Blatt von 1947 zeigt eine Tuschezeichnung, bei der sich graue, gelbe und braune Farbbereiche collagenartig überlagern. Graue Schlieren erinnern an den Rauch von Dampflokomotiven, zartschwingende Striche lassen gegenständliche Reste erkennen, brückenartige Motive, Eisengestänge, vielleicht eine Figur. Kline zieht keinen Trennstrich zwischen Zeichnung und Malerei: „Ich empfinde Malen mehr als eine Form von Zeichnen, und ein Bild, das ich mag, hat etwas von einer Zeichnung. Ich sehe nicht, wie man das Malen vom Wesen des Zeichnens trennen könnte.“

Er füllt Telefonbücher mit Tuschezeichnungen und zeichnet auf Zeitungspapier. Diese Blätter machen keinesfalls einen nur kalligraphischen Eindruck, die breiten Tuschebahnen verknoten sich, überlagern sich, lassen die Druckschrift durchscheinen, so daß räumliche Wirkung entsteht. Nach einer Anekdote hatten Kline und de Kooning irgendwann einige Zeichnungen mit einem Bell-Opticon-Projektor auf der Atelierwand vergrößert, wodurch Kline dazu gebracht worden sei, in groß zu arbeiten. Diese großformatigen Bilder dominieren die übersichtlich gehängte Saarbrücker Ausstellung. Den Ölbildern – einige hat Kline aus Kostengründen in Dispersionsfarbe gemalt – liegen oft Vorarbeiten zugrunde, Ölskizzen oder Tuschezeichnungen, auf die der Besucher immer wieder verwiesen wird. Mit Rücksicht auf die graphischen Arbeiten muß die Ausstellung jedoch bei Kunstlicht gezeigt werden, was die Ölgemälde in ihrer Wirkung beeinträchtigt.

Kline beschränkt in den 50er Jahren seine Palette und variiert seine Skala, ausgehend von den Polen Weiß und Schwarz, zu Beige beziehungsweise Grau. Dabei kommt es immer wieder zu reichen Abstufungen mit räumlichen Wirkungen; die Farbigkeit der reinen Leinwand läßt er mitsprechen, beispielsweise in „Ohne Titel“ 1951, Kat. Nr. 17. Kline reduziert hier die Formen so sehr, daß das Bild sich gegenständlichen Assoziationen fast ganz verschließt. Die schwarzen Formen stehen einzig zu Bildecken und -rändern in Beziehung. So komponiert Franz Kline seine Bilder im traditionellen Sinn – ganz anders als Pollock, der seinen Gemälden eine All- over-Struktur verleiht. Kline befestigte zudem seine Leinwände an der Atelierwand, statt auf dem Fußboden zu experimentieren. Dies verraten in einigen Werken „Nasen“, flüssig herabgelaufene und dann erstarrte Farbtropfen. Auch äußerst pastose oder trockene breite Farbbahnen und feine Spritzer führen unmittelbar den Malprozeß vor Augen. Selten lärmen die Bilder; es ist keine geschwinde, sondern introvertierte Malerei: Diese Möglichkeiten zeigt in aller Differenziertheit das energiegeladene Werk „Figure“, 1956. Titel erhielten die Bilder übrigens erst im nachhinein. Sie sollen sich meist assoziativ ergeben haben. Assoziationen des Betrachters läßt Kline ausdrücklich zu, da er nicht die objektive, „draußen“ sichtbare Welt abbilden will. Er setzt seine Erlebnisse und Emotionen als Kraftakt in malerische Gesten um. Kline nennt dies Mal-Erfahrungen: „Ich entscheide nicht schon im voraus, daß ich ganz bestimmte Erfahrung malen werde, sondern erst während des Malakts, ... eine authentische Erfahrung ... Ich male ein Gefüge, aus dem ein Bild wird.“

Gegen Ende der 50er Jahre verwendet er auch in sehr großen Kompositionen bunte Farben, so in dem wunderbaren violettonigen Gemälde „Torches Mauve“ 1960. In der Mitte eine breite schwärzliche Bahn, die den Blick des Betrachters nach oben führt, rechts schimmert durch das Violett ein weißlicher Ton, die Farbe ist fast nebelschwadenartig breit gewischt; im unteren Bilddrittel bieten quergesetzte Striche horizontale Bezüge. Links unten öffnet sich der Bildraum zum weißlichen Grund hin. Es ist, als wäre Klines Blick abwärts in eine Straßenschlucht oder aufwärts der Front eines Wolkenkratzers entlanggewandert. Doch der Bodenkontakt ist verloren. Regennässe und Licht künstlicher Beleuchtung läßt sich assoziieren, ohne daß wirkliche gegenständliche Bezüge auszumachen wären. Das Violett ist von fast sakraler Wirkung. Diese Art von Kontemplation geht auch von „Red painting“ 1961 aus, mit seinen leuchtenden Rottönen, die ein kopfähnliches, schriftzeichenartiges Gebilde umschließen. Man fand dieses Bild, als Franz Kline am 13. Mai 1962 plötzlich an einem Herzversagen starb, auf einer Staffelei in seinem Atelier.

Franz Kline – Werke 1947-1962, bis 5. 2. 1995, im Saarlandmuseum, Saarbrücken. Zur Ausstellung sind ein Katalog und eine Ausgabe des Magazins „Vernissage“ mit ergänzenden Beiträgen erschienen.