■ Deng Xiaoping, Chinas "großem alten Mann", geht es nicht sehr gut. Mit seinem Tod wird in nächster Zeit gerechnet. Die chinesischen Politiker halten vorerst still und verschärfen die Repression...: Eine neue Zeit bricht an
Deng Xiaoping, Chinas „großem alten Mann“, geht es nicht sehr gut. Mit seinem Tod wird in nächster Zeit gerechnet. Die chinesischen Politiker halten vorerst still und verschärfen die Repression. Was wird nach Dengs „Rendez-vous mit Marx“?
Eine neue Zeit bricht an
Allgemein gesprochen: Für einen 90jährigen ist Deng Xiaoping bei guter Gesundheit“, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums in diesen Tagen. Deng, in der offiziellen Diktion wichtigster chinesischer Politiker seit Mao Zedong, liegt seit Ende Dezember im Koma, berichtete das Asian Wall Street Journal gestern und zitierte eine nicht genannte – aber selbstredend gutinformierte – Quelle mit den Worten: „Er ist bewußtlos geworden und wird wahrscheinlich nicht über Ende März hinaus leben.“
So schlimm kann es dem alten Mann nicht gehen, wenden Beobachter in Peking ein: Schließlich fliegt seine Tochter Deng Rong in diesen Tagen in die USA, und wichtige Politiker wie Finanzminister und Vizepremier Zhu Rongji und Außenminister Qian Qichen befinden sich auf Auslandsreisen. Andererseits fallen die Aktienkurse an den Börsen in Hongkong, Taiwan und Singapur.
Spekulationen über einen baldigen Tod Deng Xiaopings gibt es schon seit Jahren, und immer, wenn sie laut wurden, hat die Regierung Bilder veröffentlicht, die bewiesen, daß er noch lebte. Doch das jüngst präsentierte Foto, das einen in einem Sessel zusammengesunkenen Greis im Profil zeigt, war gänzlich ungeeignet, diese Gerüchte zu widerlegen – es handelte sich um eine Aufnahme vom Oktober letzten Jahres. Und als Deng Rong, Tochter und engste Vertraute des alten Mannes, zur gleichen Zeit erstmals zugab, daß sein Zustand von Tag zu Tag schlechter werde, war klar, daß die Endrunde begonnen hat.
In Peking laufen die Vorbereitungen auf den Tag X offensichtlich auf Hochtouren: Ranghohe Mitglieder der Regierung und der Streitkräfte seien gebeten worden, sich in Peking zur Verfügung zu halten, berichtet die Hongkonger Presse. Und die chinesische Volkszeitung und andere amtliche Medien haben Partei und Bevölkerung in dieser Woche in Leitartikeln wieder aufgefordert, den politischen Weg zu befolgen, den der große Patriarch vorgegeben hat.
„Kostbarste Schätze“ erscheinen auf CD-Rom
Diese Richtung ist in Dengs „Ausgewählten Werken“ nachzulesen, die im November als erweiterte Neuauflage erschienen und auch auf CD-Roms erhaltbar sein sollen. Die Volkszeitung bezeichnete sie als „kostbarste Schätze“ der chinesischen KP. Allerdings ist kaum anzunehmen, daß mehr als eine Handvoll der 55 Millionen Parteimitglieder tatsächlich in die Werke schaut: Fast verzweifelt muten die regelmäßigen Aufrufe der Partei an, sich ideologisch korrekt zu verhalten.
Auch nach dem Tode Dengs werde es keine politischen Erschütterungen geben, beteuern hochrangige Politiker. Schließlich habe der gegenwärtige Partei- und Staatschef Jiang Zemin, der gleichzeitig an der Spitze der Armee steht, den Segen Dengs erhalten. Gemeinsam mit Premierminister Li Peng, dem Vorsitzenden des Nationalen Volkskongresses, Qiao Shi, sowie Wirtschaftsreformer und Vizepremier Zhu Rongji stehe ein funktionierendes Team bereit.
Keiner von ihnen kann sich jedoch der mittelfristig zureichenden Unterstützung in Armee, Partei und Bevölkerung sicher sein. Zwar hat Jiang Zemin in den vergangenen Monaten versucht, sich der Gunst hochrangiger Militärs durch Beförderung und Umsetzung zu versichern, und er hat loyale Funktionäre in wichtige Positionen in Staat und Partei gehievt.
Angst aber hat die Führung heute vor allem vor sozialen Unruhen, davor, daß die vereinzelten Aufstände verarmter Bauern sich ausbreiten. Sie fürchtet, daß die vielen Millionen, die arbeitssuchend im Lande herumziehenden, außer Kontrolle geraten. Sie weiß, daß sie die heute offiziell bei 23 Prozent liegende Inflation nicht in den Griff bekommt, wenn sie nicht aufhört, Geld zu drucken, um die Arbeitskräfte in den maroden Staatsbetrieben zu bezahlen. Streiks werden zunehmen.
Die Staatsführung liegt seit Monaten lahm
Statt sich um diese drängenden Probleme zu kümmern – sagt ein chinesischer Freund zur taz – seien die Partei-, Staats- und Provinzpolitiker anderweitig hektisch aktiv: sich und ihren Familien die Pfründen für eine unbekannte Zukunft zu sichern. Das Warten auf Dengs Tod legt die Staatsführung seit Monaten lahm. Unterdessen werden Polizei und Armee zunehmend auf ihre Rolle zur Verhinderung großer sozialer Unruhen vorbereitet. Denn gerade die Nachricht vom Tode Dengs könnte soziale Unruhen auslösen.
Deng, so meinen viele Chinesen, sei der einzige Politiker in China gewesen, der die Macht hatte, die Reform der Wirtschaft durchzusetzen und ein Auseinanderbrechen des Riesenreiches zu verhindern. Sein politischer Einfluß basiert auf seiner persönlichen Macht. Er hat es vermocht, sich der Loyalität wichtiger Teile des Militärs, der Provinzführer und unterschiedlicher Seilschaften in der Partei zu versichern – und politische Rivalen frühzeitig auszuschalten. Nur Mao war respektierter und gefürchteter.
Deng hat nie die formale Spitzenposition in Partei und Staat übernommen. Er war mächtiger: Generalsekretäre stiegen auf und stürzten, weil der alte Mann es so wollte. Offizielle politische Funktionen hat Deng längst abgegeben und immer wieder darauf hingewiesen, daß er nur noch Ehrenvorsitzender der chinesischen Bridge- Vereinigung sei.
Generationen von China-Beobachtern, Journalisten, Politologen und Spionen haben sich bemüht, herauszufinden, wie politische Erbfolgeregelungen in China funktionieren. Fragt man aber heute eine oder einen von ihnen, wer sich nach Dengs Ableben durchsetzen wird, gibt es viel Stirnrunzeln.
Nach Maos Tod 1976 stellte in der chinesischen Bevölkerung tatsächlich kaum jemand die Legitimität seines Nachfolgers Hua Guofeng in Frage. Mao habe ihm auf dem Sterbebett gesagt, „wenn du die Sache in die Hand nimmst, bin ich beruhigt“, verkündeten der relativ unbekannte Hua und die Partei damals. Und da nickten alle Untertanen (zumindest in der Öffentlichkeit) und waren froh, daß es nicht schlimmer gekommen war. Es hätte ja auch die schreckliche Witwe sein können.
Der Chinese Li Zhisui, der kürzlich seine bemerkenswerten Memoiren veröffentlichte („Ich war Maos Leibarzt“), hat nicht nur über die sexuellen Vorlieben des großen Diktators berichtet. Er erzählt sehr plastisch über die Intrigen am Hof und das Funktionieren der Seilschaften in der Partei.
Wie funktionieren chinesische Seilschaften?
„Das Problem“, schreibt Li, „war die Verantwortlichkeit der einzelnen Funktionäre. Wenn ein chinesischer Funktionär jemanden für ein Amt vorschlägt, wird er automatisch für die Handlungen seines Protégés verantwortlich. Das System funktioniert nur dann, wenn der Ernannte seinem Vorgesetzten gegenüber absolut loyal ist.“ Solche Unterwürfigkeit werde mit Protektion belohnt: „Da der Untergebene immer die Anweisungen seines Vorgesetzten ausführt, muß der Vorgesetzte seinen Untergebenen vor Anwürfen schützen. Folglich setzen alle gegen hohe Parteifunktionäre gerichteten Maßnahmen bei deren Untergebenen an. Wird einem unteren Parteifunktionär politisches Fehlverhalten vorgeworfen, so ist automatisch auch sein Vorgesetzter betrofffen.“ Und umgekehrt.
Übrigens sah sich der Arzt Li damals, als Mao auf dem Sterbebett lag, persönlich in höchster Gefahr: Er mußte immer damit rechnen, von interessierter Seite für Maos Tod verantwortlich gemacht zu werden. Das hätte ihn den Kopf kosten können. Um sich vor solchen Beschuldigungen zu schützen, machte er die gesamte Elite der chinesischen Ärzteschaft zu seinen Beratern und damit im Zweifelsfall „mitschuldig“.
Möglicherweise ist die Arbeit für die Mediziner beim sterbenden Deng heute nicht mehr so gefährlich. Doch die Politiker in Peking halten sich offensichtlich immer noch an den Grundsatz, lieber auf Nummer Sicher zu gehen und sich nicht zu weit vorzuwagen, solange der alte Mann noch atmet. Und das gewiß nicht nur aus Gründen der Pietät. Jutta Lietsch
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