■ Bündnis90/Grüne lassen rotieren
: Profil stört

Andere Parteien als Bündnis90/Die Grünen wären wohl nicht unglücklich über solche Unbill. „Unser Problem ist, daß wir zu viele bekannte, profilierte Parlamentarier haben“, konstatierte der bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland. Die Landesdelegiertenkonferenz löste das Problem freilich in ganz anderer Weise als von Wieland angeregt. Gegen Profilierung hilft Kaltstellen allemal, zeigten sich die Delegierten mehrheitlich überzeugt.

Ihr Rotationsbeschluß erinnert daran, daß der radikaldemokratische Gestus einer Rotation nicht allein von der immer noch richtigen Überlegung geleitet wurde, Langzeit-Abgeordnete seien den Fährnissen des normalen Lebens zu weit entrückt. Es war auch Mißtrauen und Neid dabei: Argwohn, die eigenen Leute könnten schleichend korrumpiert werden von der Macht, und Mißgunst gegenüber jenen, die glücklich ein Mandat errungen hatten.

Doch die Zeiten, in denen die Grünen auch einen Besenstiel zur Wahl aufstellen konnten, sind längst vorbei. Auch bei Bündnis 90/Die Grünen weiß man inzwischen, daß Gesichter unverzichtbar sind beim Transfer grüner Politik zu den WählerInnen. Das gilt auch in Berlin. Nur berücksichtigt wird es nicht. Dabei kommt kein bündnisgrüner Basisaktivist daran vorbei, daß es beispielsweise eine Renate Künast in der Rechtspolitik, ein Michael Cramer in der Verkehrspolitik oder eine Michaele Schreyer in der Ökologie sind, die in der Öffentlichkeit das Profil der Partei deutlich machen. Diese und weitere Prominente aber werden der Partei mit allergrößter Sicherheit im nächsten Abgeordnetenhaus fehlen – und falls es neue Mehrheiten gibt, auch in einem rot-grünen Senat.

Die am Wochenende bestätigte Rotationsregelung blendet das aus. Die für eine Ausnahme nötige Zweidrittelmehrheit ist nicht mehr als eine höhnische Geste. Diese Hürde zu überspringen erscheint angesichts der innerparteilichen Realität fast unvorstellbar. Für das Wahljahr ist dieser Beschluß deshalb die denkbar schlechteste Vorbereitung. Mehr als mit jedem Strategiepapier und rot-grünem Koalitionsgerede signalisieren Bündnis90/Die Grünen, wie wenig ernst sie selbst den Ruf nach neuen politischen Mehrheiten in der Stadt nehmen. Ich mache zwar Wahlkampf, aber wählen dürft ihr mich nicht, müssen die Prominenten ihren WählerInnen also im Herbst sagen. Die werden sich darob wundern. Oder für neue Mehrheiten gleich die SPD wählen. Gerd Nowakowski

Siehe Bericht Seite 22