Literatur im Abseits

■ Interview mit der griechischen Verlegerin und Übersetzerin Niki Eideneier über das Desinteresse deutscher Verlage an der Literatur von Immigranten

taz: Umberto Eco schrieb in einer seiner Kolumnen, daß „das Europa der Zukunft der Kontinent der Übersetzer sein wird“. Trifft dies nach Ihren Erfahrungen als Verlegerin, Herausgeberin und Übersetzerin zu?

Niki Eideneier: Aus meinen Erfahrungen mit den Übersetzungen griechischsprachiger Literatur möchte ich sagen, daß dies besonders auf die griechische Literatur zutrifft. Denn ohne die Liebe der Übersetzer zu den Büchern und ihren Mut, doch noch literarische Werke ins Deutsche zu übersetzen, wohl wissend, daß die Chancen auf Veröffentlichung minimal bis gleich Null sind. Es sind Griechen, die nur aus Liebe zur Literatur und ohne finanzielle Unterstützung uns einen Blick in das Griechenland von heute verschaffen.

Sie sind ebenfalls als Übersetzerin tätig. Sie kennen die Schwierigkeiten aus erster Hand, aber da Sie gleichzeitig Verlegerin sind, haben Sie einen besseren Überblick über die Situation der literarischen Übersetzer ausländischer Herkunft in der Bundesrepublik, die sich mit Literaturen weniger verbreiteter Sprachen beschäftigen.

Ich kenne die Situation der Übersetzer ziemlich gut. Wie beispielsweise einige mit ihrem geliebten Buch von Verlag zu Verlag – fast möchte ich sagen: betteln gegangen sind, ohne Honorare, um die Veröffentlichung des Buches zu erreichen. Und immer ohne Erfolg. Ein Beispiel hierzu: Eine Übersetzerin hat „Das doppelte Buch/to diplo biblio“ von Dimitris Chatzis ins Deutsche übersetzt. Sie wandte sich an dreißig Verlage. Erfolglos. Nur drei machten sich überhaupt die Mühe zu antworten, freilich negativ.

Um welche Verlage handelte es sich in diesem Fall...?

...auch um renommierte, unter anderem Suhrkamp, aber auch um kleinere Verlage.

Vielleicht gab es Ablehnungen, weil der Name des Autors nicht bekannt war, obwohl er in Griechenland tatsächlich zu den besten zählt, gerade durch dieses Buch...

...wenn das der Fall wäre, wie kann man dann das „Schweigen“ um die anderen weit mehr bekannten Autoren wie Kawavis, Seferis, Elytis et cetera erklären, abgesehen von wenigen Ausnahmen?

Der Nobelpreisträger Seferis beispielsweise ist über die englische Übersetzung ins Deutsche übertragen worden. Es war immer schwer, griechische Literatur in Deutschland richtig zu etablieren.

Deshalb habe ich mich vor zwölf Jahren dazu entschlossen, selbst einen Verlag zu gründen, in der Hoffnung, das zeitgenössische Griechenland primär dem deutschsprachigen Publikum bekannt zu machen, aber sicherlich auch den sogenannten griechischen Gastarbeitern.

Wieso nur das zeitgenössische Griechenland?

Die Deutschen beziehungsweise Teile des Bildungsbürgertums sind für ihren Philhelenismus sehr bekannt. Nun, so gut auch das Interesse an dieser Zeit ist, Griechenland bietet mehr als das Erbe der Antike. Aber auch die alljährlichen Reisenden nach Griechenland. Und schließlich lebt hier die größte Gruppe von Griechen in ganz Westeuropa. Gerade die jungen Griechen, die zur dritten Generation gehören, könnten über das Rezipieren von griechischer Literatur das Land ihrer Herkunft besser kennenlernen.

Sie haben außergewöhnlich viele Gedichte, Erzählungen und Novellen vor allem von jüngeren Autoren verlegt. Und wie ich dem Verlagsprogramm entnommen habe, arbeiten Sie zumeist mit deutschen und griechischen Übersetzern zusammen. Stellen Sie Unterschiede aufgrund ihrer kulturellen Herkunft fest?

Zunächst möchte ich klarstellen: Alle arbeiten mit sehr großem Engagement. Alle beherrschen beide Sprachen gut. Dennoch: Die Gruppe der hier aufgewachsenen Griechen, der zweiten Generation, weist eine andere Sensibilität für die Sprache als Griechen oder Deutsche auf als die, die als Erwachsene die zweite Sprache gelernt haben. Diese Besonderheit der Sprachaffinität der Migranten mit zwei Identitäten gilt übrigens, so meine Erfahrungen, durchaus für alle anderen Migranten anderer Zunge, aus nachvollziehbaren Gründen: Es ist die Generation, die zwischen zwei Sprachen, Kulturen und Mentaliäten aufgewachsen ist. Menschen mit zwei Identitäten. Sie ringen mit der Agonie, das Alte zu behalten, aber auch es mit dem Neuen zu verbinden und zu bereichern.

Gerade diese mit zwei Muttersprachen sozialisierten Menschen sind meines Erachtens die besten „Transporteure“ von Sprachbildern, was nur als große Bereicherung zu bezeichnen ist. Und es gibt ein enormes Potential von solchen europäischen Transporteuren hier in Deutschland.

Arbeiten Sie mit ausgebildeten Übersetzern zusammen, oder sind es Menschen, die sich nur nebenbei mit Übersetzungen beschäftigen?

Ich arbeite mit Übersetzern zusammen, die unbedingt einer anderen Beschäftigung nachgehen müssen. Wir zahlen zwar die üblichen Honorare und beteiligen unsere Übersetzer am Verkauf mit den üblichen Konditionen wie andere Verlage auch. Nur: Der Unterschied ist der, daß wir ganz wenige Exemplare im Jahr verkaufen und wenig bis gar nichts für die Übersetzer übrigbleibt. Und was die Ausbildung von Übersetzern anbelangt: Es wäre mehr als wünschenswert, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Übersetzer zu schaffen. Die gibt es noch nicht. Und nicht nur das: Es sollten auch Möglichkeiten der vollen Beschäftigung mit der literarischen Übersetzung geschaffen werden, damit besser gelungen übersetzte Bücher auf den Markt kommen. Denn nach den heutigen Voraussetzungen kann kein Mensch davon leben. Uns wurde von Kritikern vorgeworfen, daß wir nicht mit professionellen Übersetzern arbeiten. Zugegebenermaßen sind uns manche Fehler unterlaufen. Dennoch: Die von diesen Menschen erbrachte Leistung ist unendlich wertvoll.

Was sollte unternommen werden, um die Arbeitsbedingungen der Übersetzer zu verbessern, um sie zu professionalisieren?

Das Bekanntwerden der kleineren Literaturen hängt nicht ausschließlich vom Gelingen der Übersetzung ab. Es müssen viele Änderungen herbeigeführt werden, um eine große Leserschaft zu erreichen. Als Verlegerin, die ständig um ihre Existenz kämpft, habe ich nicht die Mittel für eine solide Öffentlichkeitsarbeit. Darüber hinaus ist bedauerlich, daß kaum Migranten in den Medien tätig sind. Sie könnten durchaus auch auf die Literaturen der Migranten aufmerksam machen.

Die politisch-gesellschaftlichen Veränderungen in „diesem (nicht) unserem Lande“, weil es ja offiziell kein Einwanderungsland ist, haben sicherlich auch den in Mikrographie existierenden Literaturbetrieb der hier ansässigen Migranten beeinflußt. Aber in welcher Richtung?

Ein wenig zum Positiven. Das möchte ich an einem Beispiel veranschaulichen. Arzu Toker und ich haben das dreisprachige Buch „Kalimerhaba“ im Jahre 1992 herausgegeben – in deutsch, griechisch und türkisch. Ein Buch mit Texten namhafter Autoren aus den genannten Ländern. Das Buch kam heraus in dieser unsäglichen Zeit, in der täglich von Angriffen auf Ausländer oder andere gesellschaftliche Gruppen berichtet wurde. Und schon stellten wir ein wachsendes Interesse an dem Buch fest, das übrigens gute Kritiken bekam. Gewiß waren die Entwicklungen zu traurig, um sich über eine positive Resonanz richtig zu freuen. Und es stimmt auch, daß in der Woche des Ausländischen Bürgers ebenfalls reges Interesse an der Literatur der Migranten zu verzeichnen war.

Kennen Sie auch Verleger wenig verbreiteter Sprachen in Deutschland, die mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben?

Natürlich. Es gibt zum Beispiel in Frankfurt am Main einen türkischen Verlag, der seine Arbeit eingestellt hat. Hoffentlich für nicht sehr lange Zeit. Unsere Arbeit, die der Übersetzer und Verleger, ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, ob es sich nun um griechische oder andere Literatur handelt. Trotzdem oder deswegen kämpfen wir weiter. Interview: Janna Titoki