■ Der Historiker Jasper Ridley über britische Balkanpolitik: „Man hat Angst vor den Muslimen“
Heute tritt Michael Rose, der Kommandant der UN-Truppen in Bosnien-Herzegowina, zurück. Ihm folgt Rupert Smith, der ebenfalls Brite ist. Chefunterhändler der EU für den Jugoslawien-Konflikt ist ein weiterer Brite: Lord Owen. Immer wieder taucht der Verdacht auf, daß die internationale Balkan- Diplomatie stark von britischen Interessen geprägt wird. Die taz sprach darüber mit dem britischen Historiker Jasper Ridley, der mehr als 20 Biographien von Personen verfaßt hat, die in der Geschichte Englands und Europas eine große Rolle spielen. Unter anderem schrieb er über Heinrich VIII., über Elisabeth I., über Napoleon III., über den britischen Premier Palmeston und, last, not least (erschienen 1994), über den kommunistischen jugoslawischen Staatschef Josip Broz, genannt Tito.
taz: Nach dem Fall der Berliner Mauer ist in Europa eine Renationalisierung der Außenpolitik festzustellen. Was heißt das für Großbritannien?
Jasper Ridley: Die britische Außenpolitik fällt von einer Krise in die andere. Nach 1989 herrschte zunächst die Freude vor, daß nach dem Faschismus auch der Kommunismus zerfallen war. Ich glaube aber nicht, daß damals britische Außenpolitiker einen Zukunftsentwurf entwickelten.
Das gilt ja nicht nur für die britische Politik. Doch bedeutet dies ja noch nicht zwangsläufig den Rückfall in die alten, traditionellen Bahnen der Außenpolitik.
Sicherlich. Die britische Außenpolitik war in diesem Jahrhundert oftmals nicht auf der Höhe der Zeit. So zum Beispiel war sie in den zwanziger und dreißiger Jahren so besessen vom Kampf gegen den Kommunismus, daß sie nicht erkannte, welche Gefahr Hitler darstellte. Und das Abkommen von Jalta 1944 zeigt an, daß, obwohl Deutschland schon geschlagen war, Stalin zu viele Konzessionen gemacht wurden, was die Menschen in der sowjetische Hemisphäre auszubaden hatten. Als die Lage in Jugoslawien sich verschärfte, folgte Großbritannien zunächst Deutschland, das die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens betrieb. Hätte Deutschland nicht einen so starken Druck gemacht, hätte Großbritannien die Anerkennung wohl nicht ausgesprochen. Und dann kam die Frage der Anerkennung Bosniens auf. Mit der Anerkennung wurde aus dem Bemühen der Jugoslawischen Volksarmee, Jugoslawien zusammenzuhalten, ein Aggressionskrieg gegenüber den genannten Ländern. Und Serbien wurde deshalb verurteilt. Was das Foreign Office betrifft, weiß es wohl eher, was es nicht will, als, was es will. Es will sicher nicht Serbien zur dominierenden Macht in der Region machen, weil es doch Mißtrauen gegenüber dem Hauptalliierten der Serben, Rußland, hegt. Die britischen Außenpolitiker haben zwar bisher Jelzin unterstützt, doch wissen sie gleichzeitig, daß nach Jelzin vermutlich ein Nationalist in Rußland das Heft in die Hand nehmen wird. Ein Serbien als Alliierter Rußlands wäre sicherlich nicht angenehm. Dieser Einsicht steht jedoch das tiefe Mißtrauen gegenüber den Muslimen in Bosnien entgegen. Man hat in Großbritannien mit Blick auf den Iran und Algerien einfach Angst vor einem muslimischen Fundamentalismus in Europa, sei dies nun begründet oder nicht. Und drittens hegt man den Verdacht, Kroatien sei unter deutschen Einfluß geraten. Das verstärkt die Befürchtung, Deutschand als stärkste ökonomische Macht in Europa könnte auch politisch zu stark werden.
Wenn man in der Balkanregion britische Diplomaten und Militärs agieren sieht, scheint jedoch eine stärkere Bindung an Serbien zu bestehen, als Sie annehmen. Setzen Sie da die Angst vor Rußland nicht zu hoch und jene unausgesprochene, von historischen Erfahrungen dieses Jahrhunderts geprägte Angst vor Deutschland nicht zu tief an?
Im 19. Jahrhundert war es das oberste Ziel der britischen Außenpolitik, den Einfluß Rußlands im südlichen Europa einzudämmen und die Türkei gegenüber Rußland zu unterstützen. Nach den türkischen Massakern in Bulgarien und der Herzegowina wurde diese Politik kritisiert. Premier Disraeli stand damals gegen den Liberalen Gladstone, der in Massenversammlungen die Türkei verurteilte und ihre Zurückdrängung aus Europa forderte. Disraeli antwortete: „Meine Politik ist so egoistisch, wie der Patriotismus eben ist.“ Er meinte, die britischen Interessen seien mit seiner Politik besser gewahrt, und gebrauchte auf der Berliner Konferenz von 1878 (bei der die Okkupation Bosnien-Herzegowinas durch das Habsburgerreich beschlossen wurde; d.R.) all seinen Einfluß, um die russischen Ansprüche zurückzuweisen. Bis 1914 blieb Großbritannien, was den Balkan anbetrifft, neutral. Sogar während der Balkankriege 1912/13 mischte es sich nicht ein. Als dann nach den Schüssen von Sarajevo der Erste Weltkrieg ausbrach, gab es eine Welle der Sympathie für Serbien. „Galantes kleines Serbien“ wurde zum stehenden Ausdruck, serbische Flüchtlinge kamen nach England. Die Österreicher, die Bulgaren, die Ungarn, die Türken, die Kroaten waren alle auf der Seite Deutschlands, „nur die galanten kleinen Serben“ waren auf unserer Seite. So ist es nur folgerichtig, daß Großbritannien nach 1918 die Serben bei der Gründung Jugoslawiens unterstützte. Selbst als 1929 König Alexander seine Diktatur errichtete, wurden er und die serbische Dominanz in Jugoslawien unterstützt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Jugoslawien von Deutschland und Italien besetzt. Es gab wohl damals gar kein Bewußtsein mehr darüber, daß in Jugoslawien Kroaten, Serben und Bosnier lebten, sehr wohl aber darüber, daß es eine Widerstandsbewegung der Jugoslawen gegen die Deutschen gab. Und uns wurde damals über die wundervolle Tschetnikbewegung berichtet, die gegen die Deutschen kämpfte. 1943 erfuhren wir, daß nicht die Tschetniks, sondern vor allem die Partisanen gegen die Deutschen kämpften, die Kommunisten also.
In Ihrer Tito-Biographie spielt ja die Frage, warum und wie der damalige britische Premierminister Churchill 1943 den Tschetniks die Unterstützung entzog und von da an auf Tito setzte, eine Schlüsselrolle. Ist Ihr Buch so erfolgreich, weil gerade dieser Punkt für die Debatte über die heutige Situation auf dem Balkan in Großbritannien von großem Interesse ist?
Sicherlich gibt es eine große Kontroverse in England über diese Frage. Die proserbische Lobby war vor allem in den achtziger Jahren aktiv. Sie behauptete damals, es sei ein großer Fehler Churchills gewesen, den Tschetnikführer Mihailović 1943 fallenzulassen und Tito zu unterstützen. Mihailović war im Februar 1942 so unvorsichtig gewesen, während eines Essens mit einem britischen Emissär zu sagen, die größten Feinde der Tschetniks seien die Kroaten, dann kämen die Muslime, dann die Kommunisten und an vierter Stelle erst die Deutschen. Das könnte Churchill beeinflußt haben. Ihm ging es schlicht und einfach darum, die Deutschen so effektiv wie möglich zu bekämpfen. Er glaubte, die Partisanen würden über 30 deutsche Divisionen binden, was sich zwar später als Fehleinschätzung herausstellte, aber letztlich war er erfolgreich. Die proserbische Lobby hält sich zur Zeit ziemlich zurück, denn nach den Verbrechen der bosnischen Serben an den Muslimen ist ihre Position nicht sonderlich populär. Daß die britischen UNO-Truppen in Kroatien und Bosnien jedoch kritisiert werden, hat zur Folge, daß viele Bürger ihren Rückzug vom Balkan wünschen. Interview: Erich Rathfelder
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