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Nachschlag

■ „Die Lust der Klara Fall“: Birgitta Altermann im KATO

Was diese Frau in ihren Zuschauern anrichtet, macht die jahrzehntelange Arbeit von DAK-Broschürentextern zunichte. „Essen Sie fett und salzig! Und rauchen Sie ruhig“, rät die Siebzigjährige und kippt einen Espresso. Dann geht sie zum Frontalangriff auf das Versicherungsprinzip über: „Sie arbeiten sich möglicherweise krank, damit Sie bei Krankheit versorgt sind.“ Die Pianistin Klara Fall will nach Mexiko auswandern, weil ihre spießigen Kinder ihr auf die Nerven gehen. Kurz vor der Abreise setzt sie sich noch einmal an ihren Flügel. Sie spielt ein paar Tonleitern, erzählt von ihrem wildbewegten Leben. Siebzig Jahre können sich ganz schön hinziehen, und wenn Klara von der „altphilologisch-puritanischen Wüste“ ihres Elternhauses und von ihrer ersten Liebe erzählt hat und immer noch nicht 35 ist, werden die Zuschauer so schlapp, als hätten sie ihr Leben lang Kette geraucht. Selbst das Spannungs-Sofortrettungsprogramm – Klara erleidet Schiffbruch, verliebt sich in eine Frau und gerät in die kubanischen Revolutionswirren – kann da nicht viel helfen.

Birgitta Altermann verleiht der resoluten alten Dame viel Charme. Wendig schlüpft sie durch ein Dutzend verschiedene Rollen – mal rutscht ihr der Mund in die Schieflage, mal kauert sie sich so zaghaft zusammen, daß sie kleiner zu werden scheint. Komische Typen im Konzert sind auch die Stärke von Lilly Walden, die „Die Lust der Klara Fall“ geschrieben und vor zehn Jahren das Frauen-Ensemble „Wilde Mischung“ gegründet hat. Auf dem Höhepunkt der Aufführung verkörpert Birgitta Altermann ein ganzes alkoholisiertes Damenkränzchen am Grab einer Klassenkameradin: „Ratzeputz, der Sarg ist weg!“

„Die Lust der Klara Fall“ hat Höhen und Tiefen, nur Birgitta Altermanns Klavierspiel ist gleichbleibend mäßig. Ein paar solide Gesundheitstips gibt es übrigens am Ende doch noch: „Das Allerungesündeste ist die Langeweile! Sie macht krank, siech, dumm, verkalkt und nicht mal richtig unglücklich.“ Miriam Hoffmeyer

Bis 29.1., Mi.–So., 20 Uhr, KATO im U-Bahnhof Schlesisches Tor, Kreuzberg

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