■ Die Berliner Grünen streiten ums Abtreibungsrecht
: Der Rest ist Abschreiben

In Sachen Moral waren die Grünen schon immer unschlagbar. Da liest man in ihrem „Grundkonsens“ zu Frauenfragen: „Wir wenden uns gegen jede Art von Gesetzen, Praktiken und Verhaltensweisen, die die geistig-seelische und körperliche Integrität von Frauen und ihre Persönlichkeits- und Menschenrechte verletzen.“ Und vor diesem Hintergrund haben die Berliner Grünen den Zeigefinger gegen die Bonner Fraktion erhoben und deren Gesetzentwurf zum Paragraphen 218 kritisiert. Das mag – eben im Sinne moralischer Überzeugungen – gut gemeint sein. Allein es ist verlogen. Bei der Diskussion ums Abtreibungsrecht wird damit zum wiederholten Mal dem Eigentlichen entgegengehandelt – dem Wohl der Frauen. Die brauchen, ob sie nun wollen oder nicht, ein Abtreibungsrecht.

Jeder innerparteiliche Streit, der sich verbal auf die Rechte der Frauen beruft, macht momentan nichts anderes, als ebendiese Rechte zu unterlaufen. Es ist nicht nur peinlich und lächerlich, es ist schlicht ein Unding, daß es bislang noch immer kein gültiges Abtreibungsrecht gibt. Daran haben nicht nur die Grünen Schuld. Sie tun, was alle tun. Die andern Fraktionen inszenieren zwar einen verbissenen Streit. Doch letztlich unterscheiden sich ihre Entwürfe nur in Nebenaspekten. Die einen wollen die Finanzierung für Härtefälle durch den Bund, die anderen durch die Länder gewährleisten. Die einen sehen das Beratungsgespräch eher als eine umfassende Information, die anderen als Diskussion, in der die beratende Person für das Recht des ungeborenen Kindes sprechen soll.

Die nach wie vor ideologisierte Diskussion hat ihren Sinn verfehlt. Die Bürgerinnen können die kleinen Dissense nicht mehr nachvollziehen. Tatsächlich gewinnt frau den Eindruck, als gehe es denen, die vorgeblich um Lösungen ringen, nicht um Ergebnisse, sondern nur um die ewige Wiederholung eigener Überzeugungen – Ideologisierung eben. Wünschenswert wäre, daß es nicht nur ein paar Abgeordnete gäbe, die moralische Prinzipien haben und umzusetzen versuchen. Schön wäre es, wenn damit das Einfühlungsvermögen verbunden wäre, daß auch Kompromißfähigkeit eine Tugend ist, Konsensentscheidungen, Nachgeben et cetera, und daß es nicht immer nur auf die eigenen Überzeugungen ankommt. Es scheint, als sei bei der Diskussion um Paragraph 218 vollkommen in Vergessenheit geraten, daß es auch um die praktische Lösung eines Problems geht.

Und diese Lösung ist so einfach. Anstatt sich weiterhin über Randfragen zu streiten, würde eine sorgfältige Lektüre des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Mai 1993 genügen. Dieses hat nämlich eine selten eindeutige und ausführliche Entscheidung verfaßt. Es hat quasi en détail vorgegeben, wie ein verfassungsmäßiges Abtreibungsrecht auszusehen hat. Es hat eindeutig formuliert, daß eine Beratung stattzufinden hat, die ein paar wenigen Vorgaben genügen soll. Der Rest ist Abschreiben. Julia Albrecht