„Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“

■ Mönig-Raane erneut zur Chefin der Gewerkschaft HBV gewählt

Bremen (taz) – Zaghaft und mit schwachem Mut rückt die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Bremen ihren Problemen zu Leibe. Ein Vetorecht mochten die Delegierten des Gewerkschaftstages den neu beschlossenen Frauenräten nicht erteilen. Diese sollen die in die Nischen gedrängten Frauenausschüsse ablösen und Frauenarbeit, betriebliche und gewerkschaftliche Arbeit insgesamt verzahnen. Es drohe die Gefahr des Mißbrauchs und der Spaltung, so die Gegner des Vetorechtes. Für die bevorstehenden Vorstandswahlen werden keine großen Veränderungen erwartet.

Margret Mönig-Raane wurde erneut zur Vorsitzenden gewählt. 272 der 361 Delegierten stimmten für die 46jährige, nur 72 votierten gegen sie. Der zweite Bewerber um den HBV-Chefsessel, der Hertie-Betriebsratsvorsitzende Horst Herbert Schmidt, hatte unmittelbar vor dem Wahlgang seine Kandidatur zurückgezogen.

Ein 20-Millionen-Loch in der Kasse war es, das die modernste DGB-Gewerkschaft HBV mit den kühnsten Zukunftsplänen in eine tiefe Krise abstürzen ließ. Neue Beschäftigtengruppen wollte man gewinnen, Frauengewerkschaft sein, modernes Management einführen, altes Klassenkampfdenken überschreiten und Dienstleistungsgewerkschaft werden – drittgrößte im DGB-Verbund. Die HBV investierte nach der deutschen Einheit viel Geld und Personal, um die Beschäftigten in den neuen Ländern zu organisieren. Doch der Modernisierungskurs blieb sprunghaft und in den finanziellen Belastungen riskant. Vollends aufs Spiel gesetzt aber wurde er mit den „unerwartet“ hohen Mitgliederverlusten. Im Osten verlor die HBV seit 1991 fast wieder die Hälfte der gerade gewonnen Mitglieder, 40 Prozent von den Verbliebenen sind arbeitslos. Seit 1992 sank die Mitgliederzahl insgesamt von 737.000 auf 560.000.

Alle Warnzeichen waren ignoriert worden, das Minus in der Kasse bestürzend, das geringe Vermögen fast aufgebraucht. Der Vorsitzende Schwegler und sein Stellvertreter traten zurück. Die Organisation stand taumelnd, kopflos und mit gegenseitigen Schuldvorwürfen vor einem Abgrund.

Für den jetzigen vorgezogenen Gewerkschaftstag war ein Sturm der Delegierten erwartet worden. Doch dazu kam es nicht. Immerhin ist es den Krisenstäben gelungen, den finanziellen Niedergang zu stoppen und ansatzweise zu wenden. Neben Maßnahmen der finanziellen Umorganisation sparte die HBV Personal- und Sachkosten. Die Stellen wurden von 1.042 auf 780 reduziert, Arbeitszeit und Löhne gekürzt. Der Rechenschaftsbericht des Vorstands klang denn auch buchhalterisch, aber wenig politisch. Allerdings bekannte die Vorsitzende ausdrücklich, „wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“. Ansonsten blieb in Bremen alles beim alten. Gewerkschaftliche „Gegenmacht“ wurde inhaltsleer beschworen. Auf dem unhaltbaren Ladenschlußgesetz ritt man herum. Die DAG diente als Feindbild, obwohl man doch mit ihr zusammenarbeiten will. Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich wurde angeprangert, obwohl alle um deren Unvermeidbarkeit wissen.

Die Finanzkrise zwingt zwar zu „Reformen“, doch sie engt ein auf technokratische Maßnahmen. Ausgefochten wird sie nur, wo es um die eigene Haut der Ehren- und Hauptamtlichen geht. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand deshalb die zukünftige Organisationsstruktur. Sie müsse der heutigen Beschäftigungsstruktur angepaßt und effektiviert werden, hieß es. Die Fragen der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung, der Mitgliedergewinnung gingen darüber schon wieder verloren.

Der Gewerkschaftstag entschied sich mehrfach gegen das Vorstandsvotum für eine Dezentralisierung von Strukturen. So darf die Fusionierung von Bezirken nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Dem Vorstand wurde für den Konfliktfall ein „Initiativrecht“ abgesprochen, es bleibt nur der Ausweg über Gewerkschaftsausschuß und -tag. Wie Professionalisierung, Pluralisierung und Denzentralisierung mit der „einheitlichen Handlungsfähigkeit“ durch „Verbindlichkeit“ zusammengehen sollen, blieb unbeantwortet. M. Jansen