■ Filmstarts à la carte
: Fünfzig Jahre Befreiung

Morgen nähert sich zum fünfzigsten Mal die Befreiung des Lagers Auschwitz/Birkenau, und aus diesem Grund hat die Filmretrospektive „Topographie des Terrors – Gewaltherrschaft, Krieg und Befreiung in Europa“ wie bereits gemeldet jeden Mittwoch und Sonntag eine Veranstaltung im Martin-Gropius-Bau angeboten. Die Retrospektive geht nun in ihre zweite Spielzeit, die zugleich eine Art Vorprogamm ist zur Ausstellung „Berlin 1945“, die ihrerseits wiederum Mitte April von der Stiftung gezeigt wird.

Wie gehabt folgt die Retro einem Mischprinzip: Es sind unbekannte und Mainstream-Filme gleichermaßen vertreten.

Marcel Ophüls, der nicht immer ein glückliches Händchen bei der Auswahl seiner humorigen Einlagen in seine Dokumentarfilme hatte, war in The Memory of Justice frei von jeder Prätention, auch wenn man seine Vergleiche zwischen dem Ende der Nürnberger Prozesse und späteren Ereignissen nicht unbedingt teilt. Welten davon entfernt ist Sophie's Choice, ein Film von Alan J. Pakula, der sich aus allen Geschichten, die man über Auschwitz erzählen könnte, ausgerechnet die der katholischen Tochter eines polnischen Politikers oder Beamten herausgegriffen hat – erzählt aus der Sicht eines jungen Mannes, der sich unter ihr einquartiert hat. „Auschwitz“ – das ist hier die Wirkung, die das Lager auf das Sexualleben der Protagonisten hatte: Meryl Streep gibt die Katholikin, Kevin Kline (of all people) ist ein überlebender Jude, und sie küssen und schlagen sich, daß dem jungen Mann Hören und Sehen vergeht.

Von ziemlich anderem Kaliber ist The Pawnbroker von Sidney Lumet, einer der ersten amerikanischen Spielfilme überhaupt, die erstens überhaupt einen Überlebenden zeigen und zweitens nicht versuchen, aus ihm den besseren Amerikaner zu machen, der schon für die Bill of Rights gestorben ist, bevor er sie überhaupt kannte. Der Pfandleiher hier war einmal ein Professor in Leipzig. Wieder und wieder ziehen Fotos seiner Frau vor ihm auf; er kann den Losern gegenüber, die ihm ihre alten Lampen, Instrumente etc. aufdrängen wollen, nicht Großmut walten lassen. Die Multikulturalität Brooklyns ist ihm bestenfalls eine Last.

Im März zeigt die Reihe einen Beitrag zum Lager Westerbork, einem Durchgangslager, dem größten Verschiebebahnhof der Nazis in Westeuropa. Von hier aus wurden 100.000 holländische Juden in die Vernichtungslager verfrachtet. In keinem Lager wurde so ausgiebig fotografiert wie hier; ein Umstand, den sich auch die damalige Ausstellung in der Akademie der Künste zunutze machte. 1944 gab der Lagerkommandant den Auftrag, einen 16-mm-Film über das Lager zu drehen. Eike Geisel wird den Film kommentieren.

Schönerweise ist es der Retrospektive gelungen, einige Gäste nach Berlin einzuladen, die an dem hervorragenden Programm des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts zur Befreiung von Auschwitz beteiligt waren. Nach Berlin kommt unter anderem Dr. Karel Margry, der der Fachmann für alles ist, was es zur Filmarbeit über das Lager Theresienstadt zu sagen gibt. Bekanntermaßen diente der Film, den die Nazis unter Mitwirkung namhafter jüdischer Regisseure, wie zum Beispiel des Schauspielers Kurt Gerron, drehen ließen, der Irreführung der Öffentlichkeit darüber, was in diesem Lager wirklich vor sich ging. Es war ein Vorzeigelager, das dem Roten Kreuz quasi als Sanatorium präsentiert wurde. Der Film spricht aber, weil man unter diesen Bedingungen eben nur begrenzt lügen konnte, eine doppelte Sprache: wenn z.B. die Kindergärtnerin mit ihren Schützlingen zwischen zwei Häusern langgeht, sieht man für einen kurzen Moment den blanken Terror in ihren Gesichtern; obszön wirkt dazu das Sonnenlicht und der betuliche Ton des „Erzählers“. mn

Martin-Gropius-Bau: 29.1.–29.3.