: Britannia rules
Wenn eigenbrötlerische Englandfans aus 7 Fuß 62/3 Inches Entfernung auf eine Scheibe werfen ■ Von Stefan Maiwald
Samstags, spät am Abend, wenn die großen Sportevents schon eine Sache der Vergangenheit geworden sind, treffen sie sich in den Hinterzimmern kleiner Kneipen, zünden sich Zigaretten an und holen aus Lederetuis ihre Wurfgeschosse raus: bunte scharfe Pfeile. Darts. Sie stellen sich in 7 Fuß 62/3 Inches Entfernung zu einer in 19 Segmente unterteilten Scheibe auf. Das Spiel kann beginnen.
Max spielt Darts seit seinem zwölften Lebensjahr, seit er von seinem ebenfalls dartbegeisterten Onkel das Zubehör geschenkt bekommen hat. Er war schon einmal Dritter der Jugendeuropameisterschaften und ist einer der Besten in deutschen Landen. Überhaupt ist er ein Meister jeglichen Kneipensports. An allen Flippern der näheren Umgebung besitzt er den Highscore, er gewinnt in jedem Kartenspiel und hat beim Würfeln um Tequila-Runden das Glück gebucht. Wer mit ihm gar um Geld spielt, ist selbst schuld.
Der Dartsport, Max' größte Leidenschaft, kommt aus Großbritannien, und er gehört zur Insel wie der Fünfuhrtee. Alles daran ist englisch: Die Fachbegriffe, die Anfeuerungsrufe und viele Namen der deutschen Vereine: „Royal Ghosts“, „Jumping Frogs“ und – obwohl die Pfeile etwas kleiner sind – „Robin Hood“, sowie, weil sich das Wortspiel geradezu aufdrängt, „D'Artagnan“. Während des Spiels wird Guinness statt Pils getrunken. Verschroben britisch ist auch die Zählweise. Die erzielten Punkte werden nicht aufaddiert, sondern von 501 Punkten subtrahiert. Der äußere Ring bringt die doppelte, der mittlere Ring die dreifache Punktzahl. Der grüne Kreis in der Mitte schafft 30 Punkte, das rote „Bull's Eye“, gewissermaßen die göttliche Mitte der Mitte, bringt 50 Punkte ein. Um ein Spiel, das in drei Gewinnsätzen gespielt wird, zu beenden, muß der äußere Ring getroffen werden.
Große Gedanken wollen sie sich um ihren Sport nicht machen. „Vor ein paar Jahren war mal ein Journalist hier, der wollte aus Darts unbedingt etwas Erotisches herauslesen, irgendwas mit Konzentration, Entspannung und Zielstrebigkeit, so nach dem Motto: Den Pfeil in der Mitte versenken“, erzählt Max.
Völliger Blödsinn. Außerdem zielen nur Anfänger im Spiel tatsächlich auf das Bull's Eye. Unschwer zu erkennen, daß die dreifache Zwanzig mehr einbringt. Überdies ist die Gefahr der Streuung beim Bull's Eye zu groß. Es kann sein, daß der Dart in einem niedrigen benachbarten Segment landet, wohingegen, wenn der Werfer die Triplezwanzig verpaßt, der Dart wenigstens noch die Zwanzig erwischt.
Auf die Medien sind die Dartspieler ohnehin nicht gut zu sprechen. „Wenn mal ein Film über ein großes Turnier kommt, werden zuerst die überquellenden Aschenbecher eingeblendet. Dann schalte ich schon ab“, sagt Max.
Max (sprich Mäx) und sein Freund Michael, genannt Mick, sind echte Englandfans. Früher fuhren sie mit ihren aufgemotzten 200er Vespas durch die Gegend, trugen Union-Jack-Sticker auf ihren grünen Parkas und hörten ausschließlich The Who. „Beim Film ,Quadrophenia‘ kann ich mitsprechen“, sagt Max, und Mick singt zur Untermalung unseres Gesprächs „My Generation“.
Im Urlaub sind sie einmal nach England gefahren, um sich in den Pubs durch Dartwetten Geld zu verdienen. Obwohl sie wußten, daß Darts in England beinahe den Rang eines Nationalsports hat. Die besten Spieler sind dort Vollprofis, trainieren acht Stunden am Tag und haben haufenweise Sponsoren. Wenn man an einem durchschnittlichen Tag durch die Fernsehprogramme zappt, kann man sicher sein, auf irgendeinem Kanal die Live-Übertragung eines wichtigen Dart-Ereignisses mitzukriegen. Max und Mick hofften, sich mit den Wetten den Urlaub finanzieren zu können – und verspielten ihre gesamte Reisekasse. „Das war knallhart“, erinnert sich Max. „Zuerst sind wir mit dem Image der crazy Germans, die noch nie einen Dart in der Hand gehabt haben, gut gefahren, und die ersten Spiele haben wir auch gewonnen. Als die Jungs aber merkten, daß wir es konnten, haben sie ernst gemacht und uns weggeputzt.“ – „Wenigstens haben sie uns nicht verprügelt“, setzt Mick hinzu. Eine bittere Erkenntnis, daß nicht einmal zwei der besseren deutschen Spieler gegen durchschnittliche besoffene Kneipenveteranen Englands gewinnen können.
In Deutschland sind in immerhin 1.000 Clubs und Vereinen rund 15.000 Spieler organisiert. Ein Aufschwung ist, so Bundesspielleiter Wilfried Kohlstruck vom Deutschen Dartverband, eindeutig festzustellen: „Unsere Mitgliederzahl ist in den letzten acht Jahren um zehn Prozent gestiegen.“ Die Dart- Esoteriker haben jedoch nichts dagegen, wenn ihr Sport ein Geheimtip bleibt und sie in aller Stille weiterspielen können, ohne daß der große Medienhype kommt. Eigentlich sind die meisten von ihnen ziemlich eigenbrötlerische Leute, die nur ihr Bier trinken und dabei ein bißchen Abwechslung haben wollen.
7 Fuß 62/3 Inches entsprechen übrigens 2,37 Metern. Aber mit derlei seltsamen Maßeinheiten geben sich Mäx und Mick nicht ab. Britannia rules: Für Dartspieler ist die Frage nach der deutschen Umrechnung selbstredend ein schweres Sakrileg.
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