"Erstaunlich phantasielos"

■ Feministische Planerinnen und Architektinnen sind von der Hauptstadtplanung wenig begeistert / Die Planung für den Potsdamer Platz hätten sie ganz anders angefangen

taz: Wenn Sie die Verantwortung für die Potsdamer-Platz-Planung gehabt hätten, was hätten Sie anders gemacht?

Ida Schillen (Stadt- und Regionalplanerin: Ich hätte den ganzen Platz erst mal freigelassen und mir viel mehr Zeit für die Planung genommen. Ich hätte eine stadtpolitische Diskussion angeregt, die sich Zeit nimmt und die Ideen der BürgerInnen aufgreift. Die Planung hätte Bezug nehmen müssen auf eine Idee von Demokratie und ziviler Gesellschaft und auch der vereinigten Stadtgesellschaft. Das wäre sehr spannend gewesen, dafür eine räumliche Entsprechung zu finden. Ich hätte die ursprünglich geplante Parzellenstruktur beibehalten und sehr unterschiedlichen Investoren die Gelegenheit gegeben, dort zu bauen.

Edith Stoll, Architekturstudentin: Ich hätte die Starplaner erst mal völlig außer acht gelassen und statt dessen versucht, eine Planungsebene von unten aufzubauen. Ich hätte auch Leute aus anderen Metropolen eingeladen und erst anschließend Gegenvorschläge von den renommierten Planern und Planerinnen eingeholt.

Hätte man BerlinerInnen und BewohnerInnen anderer Städte an der Planung beteiligt, wäre wahrscheinlich viel Altbewährtes und Bekanntes zusammengetragen worden. Wäre dabei dann wirklich etwas Neues, Wegweisendes herausgekommen?

Petra Domnik, Architekturstudentin: Ist denn jetzt etwas wirklich Neues herausgekommen? Die Phantasielosigkeit der Entwürfe ist erstaunlich. Wenn ich die Architekturzeitschriften durchblättere, habe ich das Gefühl, so etwas schon zigmal gesehen zu haben. Da wird das ganze Areal zur Spielwiese der Architekten gemacht, und was kommt dabei heraus? Das Biederste vom Biederen. Da werden amerikanische Wolkenkratzer vom Anfang des Jahrhunderts als Idee aufgegriffen!

Schillen: Und das wird dann als modern verkauft! Da hätte man genausogut ein solches Konzept der konsequenten Bürgerbeteiligung als neu verkaufen können.

Gisa Roland, Landschaftsplanerin: Auch nichtprofessionelle Planerinnen hätten durchaus neue Visionen reinbringen können.

Stefanie Miseré, Stadt- und Regionalplanerin: Ich habe letztens ein Beispiel aus Brasilien gesehen, da haben sich Leute selbst ein Opernhaus aus Recyclingmaterial gebaut, weil die Stadt kein Geld hatte. Das mag jetzt utopisch klingen, aber wenn man die Leute machen läßt, dann kommt auch was dabei heraus. So etwas ist neu und durchaus erprobenswert.

Wie hätte eine solche Bürgerinnenbeteiligung aussehen können?

Gisa Roland, Landschaftsplanerin: Es gibt ein Modell, wo man willkürlich Bürger und BürgerInnen aus dem Einwohnerregister heraussucht, quer durch alle Altersstufen. Sie werden zu Planungswerkstätten eingeladen und dafür bezahlt, daß sie sich ein bis zwei Wochen damit beschäftigen. Von Fachleuten kriegen sie Informationen an die Hand, zum Beispiel, was ein Bebauungsplan oder Stadtentwicklungsplan ist. Und dann können sie zu ihren Ideen kommen. Diese hätte man anschließend in die Konzepte miteinfließen lassen können. Aber normale Bürger aus Berlin wären wohl nicht so zugkräftig gewesen wie Stararchitekten.

Miseré: Ich möchte allerdings zu bedenken geben, daß der Verkauf an Daimler schon vor der Maueröffnung geplant war. Das heißt, man kann nicht davon ausgehen, daß das mit Mauerfall sofort verschachert worden ist.

Aber abgeschlossen wurde der Vertrag erst im Frühjahr 1990, also nach dem Mauerfall.

Schillen: Uns wird vorgegaukelt, daß mit der Ansiedlung der Großkonzerne Arbeitsplätze für Berliner und Berlinerinnen geschaffen würden. Diese Konzerne bringen aber erst einmal eine Menge Leute mit. Außerdem ist bekannt, daß die Bereiche, in denen wirklich Arbeitsplätze geschaffen werden, die kleinen und mittleren Betriebe sind. Aber die genau will man hier nicht haben. Dabei wäre das eine wirtschaftspolitische Offensive gewesen, die gleichzeitig Stadtkultur, etwa die Mischung aus Gewerbe und Wohnen, miteinbezieht.

Miseré: Warum ist es eigentlich so verwerflich, sich an Traditionellem zu orientieren, warum ist es verwerflich, eine bestimmte Traufhöhe nicht zu überschreiten oder einen relativ hohen Wohnanteil an einer exponierten Stelle in der Stadt durchsetzen zu wollen? Schillen: Warum muß ein Zentrum eigentlich höher sein als der Rest der Stadt?

Roland: Es geht auch anders. In Wien zum Beispiel gibt es ein ganz zentrales Areal in der Nähe des Praters, ein altes Bahnhofsgelände, auf dem jetzt ganz bewußt Wohnungen gebaut werden. Der Potsdamer Platz hätte sich auch primär als Wohnareal geeignet.

Miseré: Damit wäre dann auch die Situation im Ostteil berücksichtigt worden. Dort in Mitte ist an exponierter Stelle eine Wohnbebauung hingesetzt worden, familiengerechte große Wohnungen. Daran hätte man anknüpfen und vielleicht sogar eine Wohnbrücke zu den Wohnvierteln in Tiergarten und Schöneberg schlagen können.

Roland: Verständigungsbrücken können nur über Menschen und über Alltagskultur erfolgen.

Was macht eigentlich ein Zentrum aus?

Schillen: Das läßt sich gut am Kudamm zeigen. Dort ist ein sehr hoher Wohnanteil auch in den Seitenstraßen, gemischt mit Gewerbe und Dienstleistungen. Das trägt wesentlich zur Belebung und somit zur Attraktivität dieses Viertels bei. Es ist eine völlige Illusion, daß sich diese Art von urbanem Leben am Potsdamer Platz entwickeln kann, mit einem Wohnanteil von maximal 20 Prozent.

Roland: Wenn man sich die Fußgängerzone in Bochum anguckt, da ist um acht Uhr abends tote Hose. Wenn man das am Potsdamer Platz auch so anordnet, unten Geschäfte, oben Büros und ganz oben ein paar Penthauswohnungen, fegt auch dort ab acht Uhr nur noch Wind durch die Straßen.

Domnik, Architekturstudentin: Ein Zentrum, das ist vor allem eine Frage der Mischung. Wenn man eine so große Fläche wie am Potsdamer Platz aus einer Hand beplant, wird das sehr homogen. Das ist, als würde man eine Trabantenstadt ins Stadtzentrum setzen. Diese wird wohl ganz lange ein Fremdkörper bleiben.

Schillen: Wenn das Gebiet abends leer ist, hat es keine Urbanität im Sinne von Belebtheit.

Miseré: Die Planung zeigt, daß hier von männlichen Erfahrungshorizonten, von männlich erfahrenem Alltag ausgegangen wird. Alltagskultur fehlt, auch Aneignungsmöglichkeiten. Das heißt, daß ich mich als Frau unbehelligt und ohne Angst im öffentlichen Raum bewegen kann, und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Der Potsdamer Platz aber wird sich nachts leeren. Als Frau möchte ich dann noch nicht mal nachts ein Überstündchen machen, um mich dann später durch die leeren Straßen zur U- Bahn zu schleichen. Auch tagsüber wird dem öffentlichen Straßenraum durch diese überdachte Piazza Leben genommen. Dadurch verlagert sich der Publikumsverkehr von draußen nach drinnen.

Roland: Aneignen bedeutet auch, sich im Straßenraum aufhalten, mal einen Plausch führen oder in der Sonne sitzen und sich die Leute angucken, vielleicht sich sogar selbst einen Stuhl mitbringen. Diese geplante sogenannte Piazza, daraus wird nie eine italienische Piazza werden. Denn in Italien herrschen rund um die Piazza ja ganz andere Strukturen.

Edith Stoll, Architekturstudentin: Unter einer Piazza verstehe ich, daß die Wegführung so verläuft, daß ich in der Stadt an einem Platz vorbeigeführt werde. Diesen Charakter hat die Bebauung am Potsdamer Platz genau nicht. Es besteht keine Durchwegung, die über den Platz führt. Ich werde zentral reingeführt, über eine Haltestelle oder eine Tiefgarage. Ich werde nicht ermutigt, das Gebiet zu Fuß zu durchqueren und den Außenraum zu erkunden.

In Berlin gibt es keinen Platz, der wirklich als Piazza funktioniert.

Schillen: Diese Kultur der Piazzen gibt es ja bei uns auch gar nicht. Das Berliner Pendant ist traditionell das Straßenleben. Einige Berliner Straßen haben sehr breite Bürgersteige, wo die Geschäfte einen Teil ihrer Sachen ausstellen, wo Cafés Stühle rausstellen. Dort pulsiert das Leben. Dort sind bis in die Nacht hinein Menschen, und zwar auch Frauen; diese Art von Öffentlichkeit schafft Sicherheit. An diese Kultur hätte man anknüpfen können.

Roland: Am Potsdamer Platz wird sich möglicherweise noch nicht einmal eine Pommes-Bude ansiedeln.

Ulrike Ueckermann, Architektin: Das wäre da wahrscheinlich der Renner. Ich hab das mal in den Docklands in London erlebt. Da war weit und breit kein Leben, und um die einzige Imbißbude scharten sich die Leute.

Miseré: Ein ganz wesentlicher Punkt ist natürlich auch Kultur. Was uns jetzt hier vorgesetzt werden soll, ist Staatskultur, ist Hochglanzkultur in riesigen Anlagen.

Roland: Warum zum Beispiel läßt man das Tempodrom nicht da, baut es mit ein? Dieses Kulturzelt mit seinen multikulturellen Veranstaltungen, das ist doch schon Kultur, die funktioniert doch.

Miseré: Daran kann man die Wertigkeit ablesen, die verschiedenen Funktionen zukommt, welchen Nutzungen auf welcher Ebene ein Platz an zentraler Stelle eingeräumt wird. Wenn ich denke, daß dort, am Rande des Tiergartens, wo das Tempodrom jetzt steht, demnächst unser Bundeskanzler spazieren gehen soll, an einem Ort, wo Tausende von Berlinern im Sommer schöne Stunden verleben, dann ist das ein Hammer. Das hat etwas Absolutistisches.

Roland: Mit der Natur wird genauso umgegangen. Auch die ökologischen und klimatischen Konsequenzen hätten stärker berücksichtigt werden müssen. Zum Beispiel werden durch die Bebauung 87 Prozent der Fläche versiegelt. Dazu kommt: Bisher ist der Platz eine offene Schneise, durch die frischer Wind in die Stadt reinweht. Die wird jetzt zugebaut.

Die Investoren greifen diese Aspekte durchaus auf. Auf die Piazza, die für urbane Belebtheit sorgen soll, wird ebenso verwiesen wie auf ökologiche Maßnahmen.

Schillen: Sicherlich. Aber ich kritisiere dieses Verständnis von Ökologie: Eine Ökologie, die sich von dem Vorhandenen abhebt, auch von den gesellschaftlichen und sozialen Bezügen in dieser Stadt, eine Ökologie, die erst einmal zerstört und die sich einen Dreck um soziale Belange kümmert, ist für mich keine Ökologie mehr.

Roland: Das läuft nach dem Prinzip Eingriff-Ausgleich. Aber was nützen mir eine Piazza und ein künstlicher Wasserkanal, wenn der Tiergarten nebenan zerstört wird?

Miseré: Momentan ziehen sich alle am Aspekt der Machbarkeit und der Logistik hoch. Mit Hilfe einer ausgefeilten Bautechnik kann man sich über alles Gegebene hinwegsetzen. Der geplante Tunnelbau durch den Tiergarten ist dafür eines der krassesten Beispiele.

Sie würden dieser Gigantomanie eher eine kleinteilige Planung entgegensetzen?

Stoll: Das wird uns als Frauen ja immer vorgeworfen, daß wir kleinteilig denken, in bestimmten Größen gar nicht planen können. Kleinteilig heißt nicht, daß wir kleine vierstöckige Häuschen dahin bauen würden, sondern daß wir versuchen, das, was gebaut werden soll, interdisziplinär zu betrachten und in Bezug dazu zu setzen, was schon da ist. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, auch mal ein Hochhaus zu bauen. Das muß nur dort, wo es hin soll, auch hin passen.

Schillen: Das sehe ich anders. Warum, so frage ich mich, soll man ein städtebauliches Merkmal, das sich bewährt hat und auch ein Stück weit den Charme dieser Stadt ausmacht – nämlich die Berliner Traufhöhe von 22 Metern –, einfach verwerfen? Für mich ist bisher kein inhaltlicher Grund genannt worden, einmal abgesehen vom Verwertungsinteresse, warum man über diese Höhe hinausgehen muß.

Miseré: Wir haben sicherlich alle keine Angst vor dem großen Wurf. Aber unsere Herangehensweise ist eine andere, die übrigens viel mehr Mut erfordert. Es ist viel einfacher, eine Linie auf dem Papier zu ziehen, als sich mit vielen verschiedenen Menschen auseinanderzusetzen.

Schillen: Mir wird immer unterstellt, daß ich eine kleinteilige Sichtweise habe. Dabei habe ich eine sehr großzügige Sichtweise, ich sehe jede Planung im Zusammenhang der gesamten Stadt. Planung bedeutet auch, den Entwicklungsprozeß mitzuberücksichtigen. Man ist hier vor drei, vier Jahren von Planungsvoraussetzungen ausgegangen, von denen man weiß, daß sie heute schon nicht mehr stimmen. Weder der für Berlin prognostizierte Wirtschaftsboom noch der vorhergesagte Konsumaufschwung sind eingetroffen. Jedes normale Wirtschaftsunternehmen würde auf derart veränderte Bedingungen mit Kurskorrekturen reagieren. Aber in Politik und Stadtplanung läßt man alles weiterlaufen, als wäre es naturgegeben.

FOPA e.V. ist eine interdisziplinäre Organisation von Frauen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die baulich- räumliche Umwelt und ihre Gestaltung im Interesse von Frauen und der Frauenbewegung zu verändern. Die Berliner Gruppe ist über folgende Kontaktadresse zu erreichen: FOPA Berlin e.V., Willmanndamm 10, 10827 Berlin. Dort gibt es auch „Frei.Räume“, die Zeitschrift des Vereins. Interview: Sonja Schock