■ Grenzzäune, neue Siedlungen und Anschläge in Israel
: Oslo gab seine arme Seele auf

Die beiden islamischen Fundamentalisten, die sich mit 19 Israelis in die Luft sprengten, wollten auch das Oslo-Abkommen umbringen. Aber es kann sein, daß das schon vorher tot war. Es ist schwer zu sagen, wann genau das Abkommen seine arme Seele aufgegeben hat. Ein mögliches Datum ist der 27. Dezember 1994 – der Tag nach Weihnachten, an dem die Einwohner des palästinensischen Dorfes al-Chader bei Bethlehem, zusammen mit israelischen Friedensaktivisten, auf einem kahlen Hügel gegen die Errichtung einer neuen jüdischen Siedlung protestierten. Viele wurden zusammengeschlagen, 40 verhaftet. An diesem Tag wurde klar, daß die Rabin-Regierung die Siedlungstätigkeit nach Oslo nicht eingestellt hat, sondern sie in aller Stille, aber mit großer Verve weiterbetreibt. In den Augen der Palästinenser und auch der israelischen Friedensaktivisten ein klarer Vertragsbruch.

Während die Palästinenser glaubten, daß Oslo nach fünf Jahren zur Errichtung eines Staates Palästina in den Grenzen von 1967 – mit der Hauptstadt im arabischen Ost-Jerusalem – führen würde, sehen sie jetzt, daß Rabin gar nicht daran denkt. Er will den Anschluß von großen „Siedlungsblöcken“ an Israel. Je klarer diese Absicht wird, desto mehr wendet sich die palästinensische Bevölkerung von Oslo ab und den Gewaltakten der extremen islamischen Opposition zu. In einem solchen Klima der Frustration, Enttäuschung, Verzweiflung und Wut hat auch Arafat keine Chance, gegen den selbstmörderischen Terror der Fanatiker, der auch gegen ihn gerichtet ist, anzukommen. Die Aktionen der palästinensischen Extremisten sind ein gefundenes Fressen für die Siedler und die anderen Rechtsradikalen in Israel, die sie ebenso als Beweis dazu nutzen, Oslo sei tot.

Als Antwort hat die Regierung eine neue, geniale Idee entwickelt: Ein elektronischer Zaun soll die palästinensische Bevölkerung physisch von Israel abtrennen. Doch der Zaun, der eine Milliarde Dollar kosten könnte, ist eine Schimäre. Er wird die Arbeiter, Studenten, Patienten und Kaufleute stoppen, aber nicht die entschlossenen Terroristen. Schlimmer noch: Er wird den praktischen Anschluß der „Siedlungsblöcke“ an Israel augenscheinlich machen.

Während noch über dieses Schildbürgerprojekt diskutiert wird, hat die Regierung beschlossen, riesige neue Bauprojekte in den besetzten Gebieten bei Jerusalem zu forcieren. Das wird noch mehr Palästinenser in die Hände der Fanatiker treiben. Es sieht so aus, als ob noch mehr Blut, vielleicht noch viel mehr Blut, fließen wird, bevor beide Völker wieder zur Besinnung kommen. Uri Avnery

ehemaliger Knesset-Abgeordneter und Friedensaktivist