■ Zum langen Abschied der Brigitte Seebacher-Brandt
: Hochwasser in Unkel

Das Spiel ist aus, und viel Stehvermögen hat Brigitte Seebacher-Brandt in der selbstgewählten Dissidenz nicht bewiesen. Wer diese Rolle nur mit Verratslegenden belegt, scheitert meist früher, als es der eigene Geheimplan, märtyrerhaft in die Geschichte eingehen zu wollen, vorgesehen hätte. Lange Zeit um Mauerfall und deutsche Einheit herum mochten manche noch glauben, mit ihrer scharfzüngigen Gestalt könne die konservative Sozialdemokratie eine intellektuelle Renaissance erleben. Immerhin war sie eine wichtige publizistische Protagonistin beim Wiederaufkommen der nationalen Frage seit 89. Ihre Anklage gegen die 68er, die durch die 89er von der Geschichte abgewählt worden seien, hat viele schlafende Hunde geweckt in jenen Zirkeln, in denen immer noch völlig unpolitisch Generationen als kollektive Schicksalszusammenhänge begriffen werden.

Doch Seebacher-Brandt fuhr mit zu vielen Feindseligkeiten auf, die ihr die durchaus denkbare sezessionistische Fortexistenz auf dem rechten Flügel der SPD unmöglich machen sollten. Als sie Einsicht nehmen wollte in die „Unwägbarkeiten der Volksseele“ und Willy den Vollzug der „seelischen Einheit Deutschlands“ einklagen ließ, schien ihr weiteres Abgleiten in eine metaphysische Konstruktion von Nation vorbestimmt, wie es in ihrem jüngsten, religiös anmutenden Aufsatz im Ullstein-Epos über „Die selbstbewußte Nation“ zum Ausdruck kommt.

In ihrer ersten Verratslegende kam die ganze Verbitterung zum Vorschein, daß sich der Ehrenvorsitzende zu historischer Stunde für die vaterlandslosen Gesellen – seine Enkel! – in Ostdeutschland die Hacken ablief. Von da an ließ sie am Krankenbett Brandts kaum noch Vier-Augen-Gespräche mit „verdienten Genossen“ zu und traktierte die Partei nach dessen Tod mit der Überlieferung von vorletzten Standpauken des Dahinsiechenden zu allen möglichen Themen. So verhängte sie ihr Interpretationsmonopol über Leben und Werk des SPD-Vorsitzenden, es entstand die nationalkonservative Witwenlegende. Zu spüren bekam diese vor allem die Ebert-Stiftung im langwierigen Konflikt um den Verbleib des Brandt- Archivs.

Schließlich mündete ihr Dauerkonflikt mit den Genossen letztes Jahr in einer bis dahin beispiellosen publizistischen Selbstverbrennungsaktion. Mit Brandts Guillaume-Trauma schien sie die ganze Partei denunziatorisch infizieren zu wollen. Die Unterstellung, daß es sich selbst beim alten Wehner noch um einen unverbesserlichen Kommunistenstrolch gehandelt habe, lag geistig auf dem Niveau jener Lumpen, die Brandt einst die Emigration vorwarfen. So hält sich nun das Nachspiel in Sachen Wienand bei der völlig unwürdigen Frage auf, wie „gaga“ der kranke Brandt im Mai 92 wohl gewesen sein mag. Die Rheinfähren nach Godesberg verkehren derzeit nicht. Norbert Seitz

Redakteur der „Frankfurter Hefte“