Sozialtante & Macho

Ingrid Stahmer und Walter Momper bewerben sich um die Spitzenkandidatur der Berliner SPD  ■ Von Severin Weiland

Berlin (taz) – Nur um „Millimeter“, so verkündet Ingrid Stahmer, unterscheide sich ihre Position von der ihres Konkurrenten. Walter Momper nickt und lächelt in sich hinein. Rund tausend SPD-Genossen sind am Dienstag abend in der Ostberliner Kongreßhalle zu einem Mitgliederforum zusammengekommen, um die beiden Spitzenkandidaten zu begutachten. Viele werden einige Stunden später genauso unentschlossen nach Hause eilen, wie sie gekommen sind. Denn die beiden Konkurrenten um die Spitzenkandidatur, die sich am 5. Februar den 24.500 Mitgliedern einer Urwahl stellen, schonen sich. Kein öffentlicher Schaukampf – darauf haben sich die Sozialsenatorin und der ehemalige Regierende Bürgermeister geeinigt.

„Wie der Walter schon richtig sagte ...“ – „Ich kann mich der Ingrid da nur anschließen ...“ – je länger die Veranstaltung andauert, um so mehr erstickt der Saal in Langeweile. Da müssen die Genossen schon hinaus auf den Wandelgang, um den millimeterkleinen Unterschied an zwei Ständen zu begutachten. Ein Unterschied in der Form, weniger in der Sache: Während die Momper-Fans mit dem roten Schal auf einem Transparent werben, scheint das Plakat der Stahmer-Truppe in einem Sozialarbeiterseminar entworfen worden zu sein. „Differenzierte Führungsqualität ist politische Innovation zur Stadtgestaltung“ lautet der verwirrende Slogan.

Es sind solche Formulierungen, die der Sozialsenatorin an diesem abend immer wieder entrutschen. Wo Momper sich als Generalist gibt, pflegt sie kleinteiliges Fachwissen. Der Applaus an diesem Abend ist zunächst gleichwertig, doch je länger sie spricht, um so stärker tritt ihre altgewohnte Schwäche hervor: Sie verliert sich in Sätzen, spürt, daß der Saal ihr entgleitet, redet um so mehr.

Sozialtante gegen Macho

Stahmer und Momper – das war in den letzten Wochen vor allem ein Kampf um ein neues Image. Die Senatorin versuchte den Ruf einer „Sozialtante“ abzustreifen, Momper den eines knallharten Machos. In Kleinanzeigen erteilten Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts dem Gescholtenen Absolution für vergangene Sünden. Zu gut erinnert sich noch manche Sozialdemokratin an dessen rüden Amtsstil während der rot-grünen Koalition 1989, als Senatorinnen seine Wutausbrüche mit Tränen quittierten. Momper ist auf der Höhe der Medien-Ära: Öffentlich zeigt er Reue, gesteht Fehler ein. Der Mann, der vor drei Jahren als Landesvorsitzender aus dem Amt gejagt wurde und im Anschluß eine umstrittene Tätigkeit in der Baubranche begann, verkauft auch dies noch als Sieg: Unabhängig sei er dadurch geworden, habe Erfahrungen gesammelt.

Die 52jährige setzt dagegen auf Gemüt, verteilt Streicheleinheiten. Die „Wünsche der Menschen“ wolle sie den Mitgliedern im Senat vermitteln. Das wirkt ehrlich, aber ein wenig harmlos, auch wenn sie nicht müde wird, sich selbst Führungsqualitäten zu bescheinigen. Momper spielt hingegen die populitische Karte aus. Abgeklärt rattert er sein Programm herunter: Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, bezahlbare Mieten, soziale Sicherheit, „intelligente“ Strategien zur Verbrechensbekämpfung. „Ich will“, sagt der 49jährige, „die Große Koalition beenden.“ Da brandet Applaus auf, labt sich die sozialdemokratische Seele an einer der wenigen klaren Formulierung dieses Abends.

Seine Konkurrentin aber tappt in selbstgebastelte Fallen. Sie will Gedankenspiele an eine Fortsetzung des SPD/CDU-Senats nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Oktober nicht unterschlagen. Man dürfe sich in dieser Frage „nicht Sand in die Augen streuen“. Eine Überlegung, die wohl auch in den Spitzengremien ihrer Partei kursiert. Denn jeder weiß, daß der Spielraum für andere Optionen eng ist, zumal beide eine Zusammenarbeit mit der PDS ablehnen. Aber während Momper der Basis die Illusion eines Ausbruchs aus der jetzigen Regierung vorspielt, irritiert Stahmer mit ihrer Offenheit. „Ich mußte deutlich mehr Kraft aufbringen, Walter Momper von sozialpolitischen Vorhaben zu überzeugen als Eberhard Diepgen.“ Solch ein Satz, den sie beim Besuch einer Berliner Tageszeitung fallenließ, löst Spekulationen aus. Will sie etwa mit der CDU weitermachen? Das sei natürlich „Quatsch“, muß Stahmer den fatalen Eindruck korrigieren. Einer ihrer Anhänger muß das gespürt haben, als er am späten Abend zum Saalmikrophon griff. „Momper wirkt engagiert, rhetorisch begabt und ist ein cleverer Organisator. Ingrid Stahmer ist bescheiden und ehrlich.“ Es war als Entlastung gedacht. Unbewußt aber traf der Mann die richtige Diagnose.