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Sterilisationsboom

■ Brandenburgische Studie über die Gründe für irreversible Operation

Berlin (taz) – Der drastische „Sterilisationsboom“ in Ostdeutschland ist nicht auf den von Medizinern und Soziologen vermuteten „Nachholbedarf“ zurückzuführen. Wenn sich in den neuen Bundesländern deutlich mehr Frauen für diese Form der Empfängnisverhütung entscheiden als in der alten Bundesrepublik, so liegt das nicht daran, daß dieser Eingriff zu DDR-Zeiten so gut wie unmöglich war. Das belegt eine erste wissenschaftliche Untersuchung, die das brandenburgische Sozialministerium jetzt vorgelegt hat. Allerdings räumt die Studie auch mit einem anderen gängigen Erklärungsmuster auf: Nur 14 Prozent der Frauen, die sich für eine Sterilisation entschieden hatten, nannten die Angst vor einem möglichen Arbeitsplatzverlust bei einer Schwangerschaft als Grund. Auch die These, daß sich vor allem junge Frauen für die irreversible Unfruchtbarkeit entscheiden, bewahrheitete sich nicht. Nach der Studie lag der Altersdurchschnitt der Frauen bei 36 Jahren. Nur 0,5 Prozent waren unter 25.

Für die wissenschaftliche Untersuchung wurden in 13 brandenburgischen Kliniken 268 Frauen befragt. Wichtigstes Ergebnis: 62 Prozent der Frauen nannten die Zufriedenheit mit der bestehenden Familiengröße als Grund für den Eingriff. Fast alle hatten bereits ein Kind, 70 Prozent lebten mit zwei und mehr Kindern zusammen. An dritter Stelle auf der Motivskala rangiert das Bedürfnis, nach der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs ein absolut sicheres Verhütungsmittel haben zu wollen. Für 32 Prozent war die geringe Unterstützung für Familien mit Kindern der entscheidende Grund Sterilisationsgrund. Diese Frauen unterschieden sich in puncto Arbeitslosigkeit, sozialer Situation und Wohnbedingungen kaum vom weiblichen Bevölkerungsdurchschnitt in Brandenburg. Warum die Zahl der Sterilisationen in Ostdeutschland deutlich höher liegt als in Westdeutschland, bleibt unklar. Eine Zahl könnte allerdings einen Anhaltspunkt geben: Zwei Drittel der befragten Frauen hatten mit ihrem männlichen Partner nicht diskutiert, ob er sich sterilisieren lassen könnte. Fazit der Studie: „Dies macht deutlich, daß es nach wie vor als fast selbstverständlich gilt, daß Frauen allein für Verhütung zuständig sind und ihr Körper zur Disposition steht.“ Vera Gaserow

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