Lauter schreckliche Sätze

Mehr Grausamkeit als Humor: Arnulf Rating erweist sich mit seinem ersten Soloprogramm nach dem Ende der Sponti-Truppe „Die Drei Tornados“ als unbarmherziger Tabubrecher  ■ Von Simon Heusser

Sein Haar ragt hartgeliert in die Höhe, Karo-Jackett und Kniebundhose sorgen für das clowneske Erscheinungsbild. Arnulf Rating, ehemaliges Mitglied des Anarcho-Kabaretts „Die drei Tornados“, präsentiert sein erstes Soloprogramm. Es heißt „Perlen der Heimat“. Man ahnt, was kommt. Es kommt schlimmer. Der erste Satz: „Eben habe ich einen Benzinkanister gekauft. Der Tankwart hat mich nicht einmal gefragt, welche Ausländer ich damit anzünden werde.“ Amüsant? Das eiserne Gesetz der Spannungssteigerung verlangt, daß eine „Pointe“ die vorhergehende totschlägt. Wehe, wenn die Brutalität abnimmt. Deshalb weiter so: „Warum brauchen die Türken ihre Panzer gegen die Kurden statt in Solingen ihre Häuser zu verteidigen?“

Rating spielt einen Zahntechniker, der sich Sorgen macht um das Ansehen der Deutschen im Ausland und der sich dabei als faschistoiden Biedermann outet. Zwei Stunden lang wird Rating seinem Ruf als Schnellsprecher gerecht. Aber je verbalbrutaler Rating sich gebärdet, desto schaler wird das Gezeigte. Das Klischee wird bedient, plump und abendfüllend. Keine Entwicklung, keine Überraschung, keine Ambivalenz – Lachen als Katharsis, als erkennendes Lachen jedenfalls ist nicht möglich. Keine Sekunde lang stellt sich ein intellektuell-moralisches Problem. Humor by Holzhammer.

Rating spricht von „attraktiven Ferienangeboten zum Erdbeben nach Japan!“ Damit soll, natürlich, des deutschen Biedermanns Sensationslust gegeißelt werden. Aber wenn die Nachricht vom Erdbeben von Kobe erst ein paar Stunden alt ist, dann wirkt das nur zynisch. Die Zuschauer, dem progressiven Etikett des Kabarettisten vertrauend, lachen trotzdem. „Am Familienfest sah's aus wie in Tschetschenien.“ Wirklich?

Ratings Scheitern ist symptomatisch. Es ist nicht einfach, heute eine Satire zu schreiben. Viele machen es sich aber trotzdem einfach. „Decouvrierung des Ganzen durch präzise Momentaufnahmen“ (Helmuth Arntzen)? Nein, das Ganze wird einem den ganzen Abend lang um die Ohren geschlagen. Mit der Schilderung verräterischer Details hält Rating sich nicht auf, die bräunliche Weltanschauung wird jederzeit aufs deutlichste verbalisiert.

Das wird schnell langweilig. Der Fascho ist Fascho von der ersten bis zur letzten Minute. In der grotesken Darstellung ohne Entwicklung ist Wirklichkeit nicht darstellbar, wird selber zur Groteske. Das ist der zutiefst unpolitische Subtext von Ratings Programm.

Auf das postmoderne „anything goes“ reagieren viele mit ihrem eigenen „anything goes“ – sie kaprizieren sich darauf, die letzten Tabus auszureizen, wobei sie sich selbstverständlich immer auf einer kritischen Metaebene wähnen. Ein Beispiel aus Ratings Programm: „Keine 50 Meter kann ich gehen, ohne daß eine Horde rumänischer Kleinkinder an der Straßenecke auf mich zustürzt oder aus der Kanalisation die letzten Opfer der philippinischen Erdbebenkatastrophe kriechen.“ Würde der von ihm dargestellte Fascho sich hier nicht auch auf die Schenkel klopfen vor Lachen?

Um die Finessen des politisch Korrekten geht es nicht. Ratings Sätze sind zumeist schlicht schrecklich – und das Publikum lacht. Seine fiktive Frau – Psychologin mit Hang zur Esoterik – läßt er sagen: „Die Moslems atmen falsch, denen fehlt einfach das Zentrum, deshalb verlieren sie den Krieg. Sie müssen ihre Angst einfach herausschreien.“ Und als sich seine Frau über die Vergewaltigungen in Bosnien entsetzt, versetzt Ratings Zahntechniker: „Schick denen doch ein Frauentaxi.“ Kurz darauf ist in diesem verbalen Schrecken ohne Ende von der Atombombe die Rede, die „damals an den Japanern zum ersten Mal klinisch getestet worden ist“.

Gewisse Themen spotten allen Spottes, das sollte man erkennen und von ihnen ablassen.

Am Ende des Abends wissen wir, was 1 Weizsäcker ist: „eine Schwafeleinheit“. Genauer: „die Zeit, die man braucht, um zu sagen, die Jahre zwischen 33 und 45 sind ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte, das sich niemals wiederholen darf“. Eine Frage allerdings bleibt ungeklärt: Was ist 1 Rating?

„Perlen der Heimat“, ein Soloprogramm von Arnulf Rating, Dienstag, 31. Januar, und am 7. Februar um 19 Uhr im Flöz, Nassauische Straße 37.