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Mit dem D-Netz durchs Desaster

■ Auf der Suche nach dem eigenen Ich (und der großen Liebe ihres Friseurs Olaf): Irene Rindjes speedige Telekom-ödie „Hot Line“ als Selbstpersiflage im BKA

„Ach du Scheiße! Was machen Sie denn hier? Es ist doch erst acht?“ Hilft nix, da muß Irene Rindje halt mit Lockenwicklern auf die Bühne, und ihr Pianist Benedikt Eichhorn kann sich nicht mal mehr den Rasierschaum abkratzen. Am Schminktisch dann wird Irene gesprächig und erzählt von Haarproblemen, Therapien und Zahlenmystik: „Die 4, dieses gerupfte Hakenkreuz. Einmal habe ich meine kleine Schwester vier Stunden in die Vier-Sterne- Tiefkühltruhe gesperrt.“

Es blieb nicht bei dieser einzigen Tragödie in ihrer schwäbischen Familie. Langsam kommt sie zur Ruhe, zieht sich umständlich unter einer Tischdecke um und nimmt sich sogar Zeit für ein Liedchen oder zwei („Ich küss' die Männer nur nach Alphabet“). So ganz nebenbei plaudert Irene auch über den Friseur Olaf, den Filmproduzenten Rudolf und dessen Frau Mariella. Die schicksalhafte Verstrickung dieser Menschen enthüllt sich erst, als Irene ihren Anrufbeantworter abhört. Schließlich ist „Hot Line“ eine Telekom-ödie.

Gesucht wird Olafs große Liebe, Christ Svoboda, bekannt als BKA-Mitarbeiter und Mitglied von „College of Hearts“, wo Irene Rindje selbst jahrelang mitspielte. Immer häufiger beschleunigt sich das Tempo, immer nervöser hechtet sie zwischen Telefon, Handy und Anrufbeantworter hin und her. Dabei geht die raffinierte Dynamik des Anfangs leider bald verloren. Das Prestissimo kommt zu früh, die telefongesteuerte Handlung überstürzt sich, bis auch ein ganzes Rudel von SAT-17-Hubschraubern über einem Hochhaus, auf dem ein Selbstmordkandidat von Hans Meiser interviewt wird, nicht mehr so spannend ist wie die beschaulichen Causerien des Anfangs, zum Beispiel Irenes Klagen über ihre Ich-Schwäche: „Ich kann einfach nicht reklamieren, da können Scherben im Salat sein oder Kondome auf der Pizza.“

Trotzdem bleibt „Hot Line“ im ganzen doch ziemlich hot. Irene Rindje strahlt zuviel Energie aus, als daß man ihr nicht zuhören würde. Und auch wenn viele Menschen Dialekte nachahmen können – so hübsch wie sie machen das nur wenige. Auch deshalb zittern wir bis zuletzt mit, ob die schwäbische Mutter mit dem Fleischermesser das New Age abmetzelt und ob SAT 17 jetzt die tollste Story aller Zeiten kriegt oder nicht. Und wie Irenes Haare wohl aussehen, wenn sie die Lockenwickler abnimmt. Miriam Hoffmeyer

Bis 19.2. jeweils mittwochs bis sonntags um 20 Uhr im BKA, Mehringdamm 32–34, Kreuzberg.

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