Idealismus und wirtschaftliches Kalkül

Landwirte im Osten setzen seit der Wende auf ökologischen Landbau / Trotz schwieriger Ausgangssituation und ständigen Existenzkampfs geben nur etwa zwei Prozent der Öko-Bauern auf  ■ Von Anja Dilk

Die Frau mit der Patchworkjacke kramt geschäftig in den Gemüsekisten, prüft die runden, erdverklebten Kartoffeln in den braunen Papptüten. Vor dem Stand des Biometzgers drängeln sich die Leute. Brandenburgische Eier aus der Freilandhaltung stapeln sich auf einer karierten Tischdecke. Wem das Gäa-Siegel nicht genügt, dem sollen vier Polaroidfotos von glücklichen Hühnern auf einer Wiese für Authentizität bürgen. Die Kundin mit der Patchworkjacke nimmt gleich zwanzig. „Normale Eier ess' ich nicht“, sagt sie, „die Chemie tu' ich mir nicht mehr an.“

Eier, Milch, Gemüse von Biobauern aus dem Umland werden seit 1991 Woche für Woche auf den Berliner Ökomärkten wie am Leopoldplatz verkauft. „Für uns lohnt es sich, direkt an den Verbraucher statt an den Bioladen zu verkaufen“, sagt Hartmut Schüler, der nach der Auflösung seiner LPG einen kleinen Biohof aufgemacht hat. „So kann man gerade davon leben.“

Seit der Wende setzen viele Landwirte in den neuen Bundesländern auf ökologischen Landbau. Nicht nur Umweltbewußtsein und Idealismus, sondern auch marktwirtschaftliches Kalkül spielen eine Rolle. Zuschüsse der Europäischen Union sind ein beachtlicher Anreiz. Seit 1989 werden von der EU Höfe gefördert, die bereit sind, ihren Hektarertrag für mindestens fünf Jahre um zwanzig Prozent zu senken. Beispielsweise durch Umstellung auf ökologische Landwirtschaft.

Das Extensivierungsprogramm wurde von vielen aufgenommen, fast 300 Betriebe setzten allein in Brandenburg auf diese Karte. Nicht alle davon produzieren ökologisch. „Es gibt auch Betriebe, die machen Extensivierung, kassieren die Prämien und vermarkten dann konventionell“, sagt Ulrich Schumacher von Bioland.

Wer sich ökologisch nennen will, muß sich seit Januar 1994 von der EU kontrollieren lassen. „Manche Biobauern beschränken sich darauf“, resümiert Dorothea Sandow vom Ökoring Brandenburg, „aber die meisten sind in irgendwelchen Verbänden organisiert.“ Auf das Siegel der Verbände mögen viele Biobauern trotz der Beiträge nicht verzichten. „Die Verbraucher gucken eben sehr danach“, meint Hartmut Schüler vom Biomarkt am Leopoldplatz.

Im Januar 1994 waren in den neuen Bundesländern 256 Betriebe in den Mitgliedsverbänden der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau (AGÖL) organisiert, 97 allein in Brandenburg. Fast 37.000 Hektar werden dort biologisch bewirtschaftet, das sind ein Prozent der Gesamtfläche. Die meisten Biobauern schließen sich Demeter, Bioland oder Gäa an, dem Verband für die neuen Länder. Die Minimalstandards der AGÖL-Verbände gehen über die Ansprüche der EU-Richtlinien hinaus. Nach der AGÖL muß der gesamte Landwirtschaftsbetrieb einschließlich Tierhaltung auf eine ökologische Wirtschaftsweise umgestellt werden. Da praktisch alle Betriebe im Osten auf Boden produzieren, der vorher konventionell behandelt wurde, werden sie erst nach einer Übergangszeit anerkannt. Drei Jahre dauert das mindestens, je nach Ausgangslage. Doch der Weg dahin ist nicht ohne Schwierigkeiten.

Denn zunächst sind die Einkünfte gering: Ohne die Anerkennung als Öko-Betrieb kann noch nicht zu höheren Preisen der Bioware verkauft werden. Gleichzeitig fallen hohe Kosten durch die Umstellung an. Die Erträge dagegen sind bescheiden. „Als wir im ersten Jahr das Unkrautvernichtungsmittel wegließen“, erzählt Annett Ziemer vom Ökodorf Kuhhorst im Havelland, „überwucherte erst mal der Boden. Und für Geräte zur mechanischen Unkrautvernichtung fehlten uns damals noch die Mittel.“ Kein Einzelfall. „Die neuen Privathöfe müssen absolut bei Null anfangen“, sagt Cornelius Sträßer, Geschäftsführer von Demeter Berlin-Brandenburg. „Die Ausgangssituation ist oft sehr ungünstig.“ Zu dem schwachen Boden in Brandenburg, der nur geringe Erträge einbringt, kommen unzulängliche Vertriebswege, unzureichende Infrastruktur von Reparaturdiensten bis zur Verwaltung und Rechtsberatung. Auch Besitzverhältnisse sind oft noch ungeklärt.

Ein großes Problem sind die unzureichenden Vermarktungsstrukturen. Zum Teil müssen die Abnehmer kilometerweit fahren, um ihre Ware beim Bioladen oder Großhändler weiterzuverkaufen. Erst im November 1994 hat das Ministerium in Brandenburg Förderrichtlinien für den Direktverkauf auf den Höfen erlassen. „Ein bissel verspätet“, kritisiert Regina Witt von Gäa.

Die Fördermittel decken zwar etwa achtzig Prozent der Kosten und Ertragshaushalte ab. Überleben aber können nur Betriebe mit extrem engagiertem Personal. Zumal der Arbeitsaufwand auf Biohöfen wesentlich höer ist als bei konventionellen. Schließlich müssen viele Arbeiten mechanisch erledigt werden. „Manche Betreiber haben falsche Vorstellungen von ökologischem Anbau, wissen wenig über Kosten und Arbeitsaufwand“, sagt Hartmut Schumacher von Bioland.

Nach Schätzungen von Gäa geben allerdings höchstens ein bis zwei Prozent der Biobauern auf. „Schon weil es meist Überzeugungstäter sind“, glaubt Cornelius Sträßer. Derzeit sind bereits achtzig Prozent der Betriebe bei Gäa anerkannt, bei Bioland und Demeter sind es fünfzig Prozent. „Die schlimmen Zeiten kommen aber erst noch“, meint Annett Ziemer. „Denn nach fünf Jahren läuft die Förderung der EU aus. Dann wird sich erweisen, ob man die richtigen Voraussetzungen im eigenen Betrieb geschaffen hat.“