Besuch bei alten Kameraden

■ Die Marschmusik in Zeiten des Umbruchs: In der Bremer „Musikschau der Nationen“ feiern die alten Militärbräuche ihre letzten Triumphe/ Bis Sonntag in der Stadthalle

„Panzer!“ Herr Reimers schüttelt sein Haupt aus. „Mit Panzern sind die da reingefahren“, in Birmingham nämlich, in einer „internationalen Musikschau“ führender Militärkapellen. Mit Flaggenappell „und allem“. Sowas hier in der Bremer Stadthalle – unvorstellbar; „da würde ich in Grund und Boden versinken.“ Der Mann von der Kriegsgräberfürsorge weiß, wie delikat solche Veranstaltungen zu behandeln sind. Sechsmal schon zog Reimers die Truppen für die „Musikschau der Nationen“ zusammen. Manche Kurskorrektur mußte der alljährliche Aufmarsch hunderter Militärmusiker aus West, und neuerdings auch Ost, dabei mitmachen: Den Kalten Krieg hat die „Musikschau“ überlebt, Willis „Wandel durch Annäherung“ und auch den Mauerfall. Da muß man sich regen, muß man Schritt halten. Als Exerzierplatz für Marschmusik will die Kriegsgräberfürsorge ihre Schau nun nicht mehr verstanden wissen. Ein Treffen „internationaler Blasmusik“, darunter „auch zivile Gruppen“, soll die Scharen heute locken – 25.000 Besucher kommen im Schnitt zu dem Spektakel. Und doch, und doch: Ganz ohne „Alte Kameraden“, sagt Reimers, komme das Programm nicht aus, „sonst würde mich das Publikum zerreißen“. So ist die Bremer Stadthalle vier Tage lang eine der letzten Bastionen militärischen Brauchtums, mit ordentlich klingendem Spiel – nur das Säbelgerassel hört man immer seltener.

Generalprobe. August hat abgerüstet. In Sneakers, Sweater und Walkman trottet er am Rande des Stadthallen-Runds entlang; die Uniform braucht er erst am Abend. Zwei Stunden Generalprobe, das ist nicht viel, aber irgendwie „spielen wir ja alle irgendwie das Gleiche – eben Musik, zu der man marschieren kann“, sagt sein Kamerad Priestley. Am liebsten spielen die Boys und Girls von der US Army Band Europe, stationiert in Heidelberg, zwar schmissigen Big-Band-Jazz; am Abend, bei der Premiere, kracht sogar ein fünfminütiges Schlagzeugsolo in die Parade und überrascht die Bremer – „ist ja allerhand!“, raunt einer im Publikum. Doch auch die „german tunes“ sind irgendwie „okay“, sagt August. Jäger aus Kurpfalz? Nein, nie gehört; Saxofonist Priestley blättert in seinem schmalen Notenbüchlein, das ihn sicher durch den Abend geleiten soll. Doch, da steht's und sieht gar nicht so schwierig aus. Deutsche Märsche findet Kameradin Jenny überhaupt einfach „fun“. Und daß sie kein extra Honorar bekommt, ist auch okay. Es ist ja „für einen guten Zweck“, so steht's doch im Programmheft. Nur vom „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ hat sie noch nie was gehört.

Pause: Die Bläser schweigen, selbst der Marinechor Bremerhaven hat vorerst ausgeheult; dafür klingelt es nun auf den Gängen. Junge Frauen sammeln von älteren Herrschaften Münzgeld ein. Von der Decke herab baumeln die Flaggen des Volksbundes, fünf Kreuze auf grünem Grund. Mit dem Nachwuchs habe er „überhaupt keine Probleme“, sagt Herr Reimers entschieden. Ja, die anderen Vereine, die könnten schon jammern. Nicht so der Volksbund! Die „Jugendlager“ seien heiß begehrt: Ausflüge nach Frankreich, Ungarn, Lettland, um dort 14 Tage lang „gemeinsam mit ihren Altersgenossen während der Sommerferien Kriegsgräberstätten zu pflegen“ – so beschreibt Gerd Harms, Landesvorsitzender des Volksbundes, die Sache. Deutsche Soldatengräber putzen und beharken: „Da setzt ein ganz anderes Bewußtsein ein“ bei der Jugend, mutmaßt Kollege Reimers. 150.000 Mark Einnahmen wirft die Bremer Musikschau im Schnitt ab; die Bundeswehr unterstützt das Unternehmen massiv mit Unterkünften und einer Großküche. Alles, gelobt Organisator Reimers, fließe dem guten Zweck zu.

Je mehr Bratwürste verdrückt werden in der Pause, umso besser für die toten Kameraden. Die Östereicher schenken Schnaps aus; schon während ihrer Vorstellung hatte die Salzburger Kapelle vier Mädels mit Gratisproben rundgeschickt. Nun wird das Zeugs verkauft, dazu Duftsäckchen sowie Hinweise auf Wintersportvergnügen („Dorfgastein – Das Dorf mit Qualität!“); am Stand der Weißrussen bieten die Soldaten ausgediente Heldenorden und Matrioscka-Püppchen feil. 40 Stunden Bahnfahrt haben die Genossen aus Minsk hinter sich. Dafür kriegen sie, im Unterschied zu den westlichen Kapellen, „auch ein bißchen Taschengeld“, verrät Reimers. Das „Zentralorchester der Armee Weißrußlands“ ist im zweiten Jahr unterwegs im Westen: Frankfurt, Bremen, zweimal Borkum, sagt ein Trompeter stolz. Und überall bringen sie ein bißchen Lokalkolorit mit ins Spiel. Klassiker wie der einpeitschende „Säbeltanz“ dürfen zwar nicht fehlen, um den Saal in Wallung zu bringen. Aber dann kommt Wassili, der Tenor: „Wo de Nordseewellen trecken an den Strand... dor is mine Haiiimat“ Das sei eben „leider der Trend“, weiß Reimers; gerade die östlichen Kapellen gäben mehr und mehr ihr eigentümliches Liedgut auf, zugunsten westlicher Schlager. Auch das Publikum staunt: Spätestens, als Wassili mit seinem alle Vorbehalte niederreißenden Tremolo das „Werderlied“ intoniert, sind die Alten fassungslos – „ja, das ist nicht mehr die alte Rote Armee“, seufzt jemand im Parkett.

Großes Finale. Das „internationale Orchester“ marschiert ein, ein bunter Haufen aus allen Kapellen. Die Bremerhavener „Blauen Jungs“, 200 Mann stark, postieren sich auf dem Balkon des Bremer Rathauses; sperrholzschön prangt die Nachbildung im Maßstab 1:2 an der Ostflanke der Halle. „Versöhnung, Verständigung, Freundschaft“: Das Motto des Volksbundes wird nochmals und mit Nachdruck wiederholt. „Come-Together“-Feeling bei Beethovens Neunter – die hat Hermann Goldbeck, der musikalische Leiter, diesmal rausgesucht und überarbeitet, musikalisch wie textlich. „Man kann fast alles für Blasmusik umschreiben“, sagt er. So klingt's nun statt „Freude schöner Götterfunken“: „Die Musikschau der Nationen/ sagt den Freunden Dankeschön“. Wassili wirft sich nochmal mächtig in die Brust, schüttelt mit seiner Bärenpranke den Damen im Parkett die Kußhand. Zum Mitsingen wollen sich trotzdem nur wenige entscheiden. Goldbeck, Musikoffizier a.D., rudert mächtig mit den Armen – vergebens: Auf und davon segeln die „Blauen Jungs“, dem Orchester immer einen Halbton voraus; „heute an Bord, morgen schon fort...“ Was soll's, das Finale muß tönen, das Blech muß schmettern. Wenn nicht hier, wo sonst? Draußen, am Stadthallenausgang, wartet ein Spalier geparkter Pandas. Die jungen Leute holen die Alten ab. Thomas Wolff