: Wer weiß schon, was wir essen?
■ Die Gen-Tec-Tomate steht den Verbrauchern noch bevor, doch Waschmittel, Käse und Wodka werden längst mit gentechnischen Methoden produziert / Kennzeichnungspflicht fehlt
Seit Wochen liegen im Kühlschrank drei vergessene Tomaten. Und immer noch zeigt sich keine runzelige Stelle, die Früchte fühlen sich glatt und frisch an wie eh und je. Irgend etwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Wenn der Kühlschrank nicht in Berlin, sondern in den USA stünde, gäbe es eine naheliegende Erklärung: die Tomaten gehörten zur Art der „Flavr Savr“, der Anti-Matsch-Tomate. Seit Mitte letzten Jahres ist diese Neuschöpfung in den Supermärkten der USA erhältlich – Gentechnik macht's möglich. „Flavr Savr“ ist ein Gen eingepflanzt worden, das den Abbau der Zellwände stoppt, der normale Tomaten mit der Zeit runzelig werden läßt.
Noch gehen die Haltbarkeitswunder in unseren Kühlschränken auf andere Behandlungen zurück als auf die gentechnische. Genmanipulierte Pflanzen werden in Deutschland bisher nur versuchsweise angebaut. Verkauft werden dürfen genmanipulierte Früchte bisher nicht. Dem steht jedoch nicht mehr viel im Wege: In Kürze wird die EG-Verordnung über neuartige Lebensmittel verabschiedet werden. Daß genveränderte Organismen wie die Tomate zum Verkauf stehen sollen, ist darin längst keine Frage mehr. Diskutiert wird nur noch, wie weitreichend die Kennzeichnungspflicht der Hersteller sein wird.
Die Firma Calgene, Schöpferin der Anti-Matsch-Tomate, plant bereits die Eroberung der europäischen Märkte: im November ließ sie sich die Tomate vom Europäischen Patentamt patentieren.
Auf seiten der VerbraucherInnen hält sich die Begeisterung für Gen-Food in Grenzen. Über 90 Prozent der Bevölkerung der BRD würden herkömmliche Nahrungsmittel den gentechnisch hergestellten vorziehen. Ebenso viele fordern eine Kennzeichnungspflicht für genveränderte Lebensmittel. „Wir betrachten Gentechnik in Lebensmitteln als einen Angriff auf Würde, Integrität und Tradition der Kochkunst“ erklärten 40 deutsche Spitzenköche. Ihr Beschluß steht fest: Sie werden „gentechnisch erzeugte oder veränderte Nahrungsmittel weder verkaufen noch verarbeiten“. Was viele nicht wissen: Genmanipulierte Produkte sind auch in Deutschland längst im Handel. Garantiert Gen-Tec-frei kauft es sich heutzutage nur noch im Bioladen ein. Im Supermarkt ist die Entscheidung gegen Genmanipuliertes schon lange nicht mehr möglich. Sicher sind die VerbraucherInnen in der BRD – noch – vor Produkten wie der Tomate, die lebende genmanipulierte Zellen enthalten. „Tote“ Gen-Produkte finden längst unerkannt ihren Weg in den Einkaufskorb ahnungsloser KäuferInnen. Nahezu alle Waschmittel enthalten gentechnisch hergestellte Enzyme. Diese Stoffe dienen als Fett- und Eiweißlöser, damit die Wäsche schon bei 40 Grad „weißer als weiß“ wird. Enzyme finden sich aber auch in Lebensmitteln: Das von genmanipulierten Bakterien produzierte Termamyl beschleunigt zum Beispiel die Herstellung des schwedischen Wodkas „Absolut“. Käse wird in vielen europäischen Ländern bereits mit Hilfe von gentechnisch produziertem Chymosin hergestellt – in Deutschland verbietet die Käseverordnung diesen Zusatzstoff. Importkäse ist davon allerdings ausgenommen. Immerhin die Hälfte des britischen Cheddars enthält Chymosin. So unbedenklich, wie die Nahrungsmittelindustrie glauben machen will, sind diese Stoffe nicht. Die Gefahren der gentechnischen Kunstprodukte sind bisher völlig unzureichend erforscht. KritikerInnen befürchten vor allem die Zunahme von Allergien und chronischen Krankheiten sowie nicht absehbare Langzeitschäden.
Im Lebensmittelrecht kommen diese Stoffe bisher überhaupt nicht vor: Ob ein Aromastoff von genmanipulierten Bakterien produziert wird oder chemisch bzw. natürlich gewonnen wird, interessiert nicht. Kontrolliert wird in Deutschland allein die Produktion von Gen-Tech-Zusatzstoffen. Geprüft wird dabei nur die Sicherheit der Herstellung, das Produkt und dessen Verwendung sind hingegen nicht von Belang. Auch bei Importen von Geschmacksverstärkern oder Vitaminen stellt niemand die Frage, ob diese gentechnisch hergestellt werden.
Die neue EG-Verordnung will diesen gesetzlosen Zustand belassen. Nahrungsmittel, die sich in „Nährwert und Bestimmung“ nicht „wesentlich“ von konventionellen Produkten unterscheiden, werden einfach aus dem Gesetz herausdefiniert. Gekennzeichnet werden voraussichtlich nur die Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten.
Welche gentechnisch hergestellten Stoffe in Berlin Verwendung finden, wollte jüngst die bündnisgrüne Abgeordnete Judith Demba mit einer Kleinen Anfrage an den Senat in Erfahrung bringen. Die Antwort spricht Bände: eine Einzelauflistung würde den Rahmen sprengen. Damit hat die Senatsverwaltung wohl recht. Eines geht aus der Antwort jedoch nicht hervor: Die Verwaltung wäre überhaupt nicht in der Lage, eine solche Liste aufzustellen. Nicht die Fülle von Informationen ist dafür verantwortlich, sondern ihr Fehlen. Gentechnisch hergestellte Stoffe sind nicht meldepflichtig, und so gibt es keine Stelle, die die Fakten sammelt. Nicht nur die VerbraucherInnen werden dumm gehalten, sondern auch der Senatsverwaltung fehlt angesichts der gegenwärtigen Gesetzeslage jeder Überblick. Doris Maassen
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