Weil das Volk Rache und Vergeltung will

In seiner texanischen Todeszelle wartet Clifton Charles Russell auf die Hinrichtung in drei Tagen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Nichts ist außergewöhnlich im Fall des Clifton Charles Russell – und das sind schlechte Voraussetzungen, um am Leben zu bleiben. Geht es nach den Justizbehörden des US-Bundesstaates Texas, dann wird Russell in drei Tagen auf eine Tragbahre im Todestrakt des Gefängnisses von Huntsville geschnallt.

Die Augenzeugen seines Todes, Journalisten, Angehörige, Geistliche werden hinter einer Glasscheibe Platz nehmen. In ein Mikrofon, das von der Decke hängt, wird Russell seine letzten Worte sprechen können. Durch ein kleines Loch in der Mauer, führen mehrere Kanülen in seinen Arm. Hinter der Mauer steht sein Henker, der auf ein Zeichen hin eine tödliche Kombination aus Barbituraten und einem Lähmungsmittel freigibt, das schließlich zum Herzstillstand führt. Ein Arzt wird einige Minuten später den Tod erklären. Draußen vor dem Gefängnis werden einige wenige Gegner der Todesstrafe ihre Transparente und Schilder einpacken, während ein paar Befürworter mit zustimmendem Kopfnicken oder gar Applaus wieder zu ihren Autos zurückgehen und nach Hause fahren.

Exekutionen sind längst Routine im US-Bundesstaat Texas. In den Coffee Shops von Huntsville weiß man nicht einmal mehr, ob es nun seit Wiedereinführung der Todesstrafe von Huntsville die 86., 87. oder 90. Hinrichtung war. Jedenfalls findet nicht nur die überwiegende Mehrheit der Bürger in Huntsville, sondern auch 80 Prozent der Amerikaner im ganzen Land, daß es schon seine Richtigkeit hat mit der Todesstrafe.

George W. Bush, Sohn des ehemaligen Präsidenten und frisch gebackener Gouverneur des Bundesstaates, ließ drei Tage nach seiner Amtseinführung verkünden, er werde ein Gesetz unterstützen, das die Dauer des Berufungs- und Revisionsverfahrens eines zum Tode Verurteilten halbieren werde. „Gerechtigkeit muß sofort vollzogen werden.“

George W. Bush und der Begnadigungsauschuß des Bundesstaates Texas sind die letzten Instanzen, die Clifton Charles Russell noch vor der Hinrichtung bewahren können. Doch seit 1972 haben weder der Ausschuß noch die Gouverneure – egal, welcher Partei sie angehörten – einem Begnadigungsgesuch stattgegeben.

Clifton Charles Russell hat die erste Hälfte in einem Teufelskreis aus Armut, Drogensucht und Kriminalität verbracht. Er wuchs mit einer heroinabhängigen Mutter auf, die ihrem Sohn im Alter von zwölf Jahren die erste Spritze setzte. Im April 1980 wurde er, gerade 18 Jahre alt, wegen Raubmordes an einem Tankstellenwärter zum Tode verurteilt.

Russell bestreitet nicht den Raubüberfall, beteuert aber bis heute, den Mord nicht begangen zu haben. Sein Komplize, der als als Belastungszeuge gegen ihn aussagte, kam mit einer Haftstrafe davon. Russells Pflichtverteidiger erwies sich in dem Prozeß als überfordert und unfähig, seinen Mandanten angemessen zu vertreten. Seitdem sitzt Russell in Ellis Unit, dem Todestrakt in Huntsville, in dem er fast genauso viele Jahre verbracht hat wie in Freiheit. Dies ist sein vierter Hinrichtungstermin. Der letzte war im Oktober angesetzt. Drei Stunden vor der Exekution wurde ihm mitgeteilt, er habe einen Aufschub erhalten.

All dies ist im neunten Jahr nach Wiedereinführung der Todesstrafe durch den Obersten Gerichtshof so gewöhnlich, daß die US-Medien keine Notiz mehr davon nehmen. Weder Russells Jugend, noch sein Alter zur Tatzeit unterscheiden ihn von vielen anderen Todestraktinsassen in den USA.

Auch die Praxis des „plea bargaining“, des „Geständnishandels“, ist weit verbreitet: Mit dem Segen des Obersten Gerichtshofes dürfen Staatsanwaltschaften in den USA einem Beschuldigten in einem Mordfall mit der Todesstrafe drohen, um ihm dann eine Reduzierung der Anklage und eine Haftstrafe anzubieten, wenn er gegen seinen Komplizen aussagt. Das Todesurteil trifft somit potentiell nicht denjenigen, der tatsächlich den Mord verübt hat, sondern denjenigen, der sich nicht auf einen Deal mit dem Ankläger einlassen wollte.

Auch Russells unzureichender Rechtsbeistand ist in Bundesstaaten wie Texas in Prozessen mit Todesurteilen eher die Regel, denn die Ausnahme. Die große Mehrheit der fast 400 Insassen des texanischen Todestraktes eint vor allem der Umstand, daß sie zu arm waren, einen privaten Verteidiger zu bezahlen.

Pflichtverteidiger aber sind in der Regel schlecht bezahlt, überlastet, oder, wie im Fall des Rechtsanwaltes Joe Cannon, schlicht desinterssiert am Schicksal ihrer Mandanten. Cannon, der als Pflichtverteidiger in Strafprozessen in Houston fungiert, preist sich selbst als erfahrenen Juristen an, der „mit Lichtgeschwindigkeit“ durch seine Verhandlungen rauscht. Zehn seiner Mandanten landeten bislang im Todestrakt. Einer wurde bereits exekutiert, ein anderer von einem Mitinsassen ermordet.

Cannon ist nach Aussagen ehemaliger Kollegen während des Prozesses gegen seinen Mandanten Carl Johnson mehrfach eingeschlafen. Johnson sitzt heute im Todestrakt. Im Prozeß gegen Calvin Burdine entlockte er einem Polizeibeamten Aussagen, die seinen Mandanten belasteten. Burdine wurde zum Tode verurteilt. Im Mordprozeß gegen den Afroamerikaner Willie Wayne Williams macht er kaum von seinem Recht auf Befragung und Ablehnung von Kandidaten für die Geschworenenbank Gebrauch. Williams sitzt im Todestrakt – und soll zusammen mit Clifton Charles Russell am Dienstag, kurz nach Mitternacht, exekutiert werden. Doch selbst solch skandalöse Vorstellungen von Pflichtverteidigern haben bislang noch nicht zu einer Revision von Todesurteilen geführt. Zwar garantiert die US-Verfassung ein Recht auf anwaltliche Vertretung, doch der Oberste Gerichtshof erklärte höchstselbst, daß es nicht das Ziel der Klausel sei, „die Qualität des Rechtsbeistands zu erhöhen“.

Die wachsende Unwilligkeit des höchsten Gerichts sowie untergeordneter Instanzen, Berufungs-und Revisionsanträge von Todestraktinsassen zu verhandeln, spiegelt einen Stimmungswandel in der öffentlichen Diskussion wieder. Daß eine abschreckende Wirkung der Todesstrafe nicht nachzuweisen ist, geben längst auch die Befürworter zu. Rache- und Vergeltungsbedürfnis in der Bevölkerung werden von Staatsanwälten inzwischen als ausreichender Grund genannt, um die Todesstrafe zu beantragen.

In einem Punkt allerdings unterscheidet sich der Fall von Clifton Charles Russell von vielen anderen Insassen amerikanischer Todestrakte: Russell hat in den vierzehn Jahren Haft Brieffreundschaften mit Menschen in Italien und Deutschland geknüpft. In Hamburg bemüht sich derzeit der 26jährige Betriebswirt Jan Evers, mit Briefkampagnen, Leserbriefen und Anzeigen in texanischen Zeitungen, das Schicksal des 33jährigen Amerikaners doch noch abzuwenden. Evers, dessen Mutter als Mitglied der Menschenrechtsorganisation amnesty international bereits länger Kontakt mit Russell hatte, begann vor drei Jahren, mit dem zum Tode Verurteilten zu korrespondieren.

Für Evers ist in dieser Zeit das Bild eines Mannes entstanden, das nach der Logik der Todesstrafe eigentlich nicht existieren darf: Ein inzwischen hochgebildeter, religiöser Mensch, mit dem sich der junge Deutsche im wörtlichen Sinn über „Gott und die Welt“ austauscht. „Für mich ist Clifton ein Symbol für die Veränderungsfähigkeit eines Menschen“, erklärt Evers.

Dieselben Worte richtete er in einem Appell an den Begnadigungsausschuß und den Gouverneur des Bundesstaates Texas. Russell selbst hat nach vierzehn Jahren den Kampf um ein gerechtes Verfahren aufgegeben. „Ich bitte gar nicht mehr um Freiheit oder Fairneß. Ich bitte nur um Gnade.“

Wer telefonisch oder per Fax das Gnadengesuch für Clifton Charles Russell und Willie Ray Williams unterstützen will, wende sich an:

Governor George W. Bush, PO Box 12482, Austin, Texas 78711

Tel.: 001-512-463-2000 Fax: 001-512-463-1849

Texas Board of Pardons and Parole, PO Box 13401, Austin, Texas 78711

Tel.: 001-512-406-5852

Fax: 001-512-467-0945.

Appelle sollten sich auf die Bitte um Begnadigung beziehungsweise Umwandlung der Todesstrafe konzentrieren.