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■ Bonn-apartMdB Ericsson antwortet nicht

Müssen weite Teile der bündnisgrünen Parteigeschichte umgeschrieben werden? Was die vermeintliche Technologiefeindlichkeit der ehemals Alternativen betrifft, spricht vieles dafür. Hartnäckig wie die Dolchstoßlegende hält sich der Glaube, die Angehörigen der Sonnenblumen-Partei stünden auf Kriegsfuß mit solchen Belangen; dabei stellte die Bundestagsfraktion jüngst eindrucksvoll unter Beweis, daß ihre Mitglieder zumindest mit der Handhabung schnurloser Telefone aufs beste vertraut sind.

Die Routine in Sachen moderner Kommunikation führte jüngst gar zu unschönen Szenen auf einer der Sitzungen der Truppe um ihren Vorsitzenden Joschka Fischer: Ohne Unterlaß piepte und summte es aus den Designer-Jacken an der Garderobe ausgerechnet dann, als gerade Gäste aus Grosny vor der Fraktion die Lage in der tschetschenischen Hauptstadt schildern wollten. Da machte es keinen guten Eindruck, daß sich alle Nase lang jemand aus dem Sessel erhob, um vor den Fraktionsräumen seine Telefongeschäfte abzuwickeln. Die Situation endete mit einem informellen Beschluß, der seitdem als „Handy-Verbot“ intern durchaus kontrovers diskutiert wird.

Dabei zählt der Anblick bündnisgrüner Parlamentarier, deren Haltung stark an Opfer eines einseitigen Ohrenschmerzes erinnert, bereits seit geraumer Zeit zum Alltag im Regierungsviertel. „Ruf bei MdB Ericsson an“ – diese Anspielung auf ein weitverbreitetes Markenfabrikat hat längst Eingang gefunden in das grüne Bundesdeutsch.

Wie so vieles hat auch dies seine Geschichte. „Unverantwortlich lange“ nämlich, so Fraktionsgeschäftsführer Lukas Beckmann gegenüber der taz, dauerte es, bis die Bundestagsverwaltung die 49köpfige bündnisgrüne Fraktion angemessen unterbringen konnte. Bedingt durch den sich hinschleppenden Auszug derjenigen FDP-Abgeordneten, die letzten Oktober den erneuten Einzug ins Parlament verfehlten, und andere Widrigkeiten, „kamen wir in die Warteschleife“. Chaos war die Folge: Da standen rund fünfzig Abgeordneten gerade einmal acht Computer zur Verfügung, so daß manch bündnisgrünes Bundestagsmitglied seine Arbeit lieber gleich vom Heimatort aus erledigte. Daß die Fraktion dennoch durch eine ungemeine Dichte von Pressemitteilungen zu überzeugen wußte, belegt da nur die Flexibilität der Öko-Partei. Bernd Neubacher

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