Mal am wilden Leben schnuppern

■ Down & out mit Mitte 20: Keith Abbott beschreibt die Ausweglosigkeit des US-Alltags/ Heute Lesung in Bremen

„Diese Art von Müll ist faszinierend – auch wenn du lieber nicht willst, daß es das ist.“ Der Spruch von Holden Caulfield, dem jungen Antihelden der US-Nachkriegsliteratur, paßt immer noch bestens auf Zeitgenossen wie z.B. Keith Abbott. Knochentrockener Realismus, dichte Milieuschilderungen eines ausweglosen amerikanischen Alltags zwischen Drive Inn und Autokino: Das sind die Qualitäten, die Abbotts Kurzgeschichten inzwischen einigen Kultstatus eingebracht haben. Heute abend ist Abbott zu Gast in Bremen. Im Rahmen der „Literarischen Woche“ liest er um 20 Uhr in der Schauburg aus seinen Short Stories.

Mit der Figur des Holden Caulfield, aus J.D. Salingers Roman „The Catcher in the Rye“, verbindet Abbott tatsächlich mehr als obiges Zitat. Abbotts Milieustudien beschreiben häufig das Leben der Twenty-Somethings, die plötzlich vom Ernst des Lebens erschlagen werden. Die Geschichten in „The First Thing Coming“, seiner 1987 erschienenen Textsammlung, erinnern nicht selten an die gebrochene Welt in den Erzählungen Salingers oder Mary McCarthys und Paul Austers. Irgendwo zwischen dem Erbe der Beatles und dem aktuellen Zeitgeist-Phänomen „Grunge“ finden sich Abbotts Altersgenossen wieder: Frühsechziger Highschoolkids mit Haaren voll Pomade – zu spät geboren für die Rock'n'Roll-Rebellion, zu früh für die Hippiebewegung.

Da kann sich der Autor selbst bestens einreihen. 1944 geboren, zog ihn sein nomadisches Leben von Tacoma nach San Francisco, Monterrey und Albany, immer querbeet durch den Westen. Abbott schlug sich als Möbelpacker, Prediger und Baumbeschneider durch – lange bevor der Begriff „McJobs“ geprägt wurde, kannte er diese Karriere gut. Zum Schreiben kam er als End-Zwanziger. Seit 1975 veröffentlicht der Vagabund Gedichte, Kurgeschichten und Romane, auch Theaterstücke. Etwas zur Ruhe kam Abbott erst vor kurzem: Seit 1992 lehrt der Familienvater am Naropa Institute von Boulder, gegründet von Anne Waldmann und Allen Ginsberg.

Wie Abbott, sind auch viele Protagonisten seiner Kurzgeschichten an der Pazifikkpüste der USA gefangen. In „The First Thing Coming“ beschreiben Abbotts Portraits die Zerrissenheit zwischen Hängenbleiben oder Ausbrechen, sie erzählen vom Anrennen gegen Verhaltensmuster, die schon früh zur Gewohnheit geworden sind. Der Weg in die Selbstzerstörung ist für die frustrierten Typen – wie Pete Dwaer und seine Gang in „Out On the Res“ – oftmals der einzige Weg, um mal Ruhm und wildes Leben zu schnuppern. Auch die Mädchen kämpfen zwischen idealisierter Liebe, der Suche nach dem Märchenprinzen und der gelegentlichen Teenager-Schwangerschaft um eine Chance, ihr Leben irgendwie selbst gestalten zu können.

Abbott braucht nur wenig Worte, um die tiefen Gräben innerhalb der eigenen Generation zu veranschaulichen. Dabei vermeidet er jede prätentiöse Annäherung an die „Generation X“, wie sie derzeit von der Pop- und Filmindustrie umworben wird. Am Scheitern oder am Hängertum weidet sich hier niemand. Abbott ist weit davon entfernt, den Niedergang so amüsant zu betrachten wie Douglas Copeland.

„The First Thing Coming“ ist hoffnungsvoller als Abbotts erste Kurzgeschichtensammlung, „Harum Scarum“. Die Fragmente spiegeln in ihrem trockenen Realismus immer noch ein gesellschaftliches Gesamtbild. Das ist nicht immer ausweglos, aber verdammt bitter. In jeder Zeile spürt man, daß der Autor selbst lange Zeit im White Trash gelebt. Gerade diese Authentizität macht die Schilderungen Abbotts nachfühlbar. Lars Reppesgaard

Heute um 20 Uhr in der Schauburg (Vor dem Steintor 114)