piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Broder in Potsdam

„Das Schöne an Büchern ist, daß sie keine Beine haben“, meint Henryk M. Broder. Als Auftakt einer Essay-Lesereihe des brandenburgischen Literaturbüros las der „streitbare Publizist“ in der Potsdamer Galerie Samtleben. Broder macht seinen Büchern Beine. Die Galerie war übervoll und das Publikum dem Autor in der Mehrzahl zugeneigt. Der seinerseits schüttete gewohnt hemmungslos Hohn und Spott über Gysi und Bisky, Heym und Zwerenz, Gaus und Diestel aus. „Jeder darf gegen jeden hetzen“, antwortete er auf einen Einwurf im Publikum, er habe nicht in der DDR gelebt und daher kein Recht, sich beispielsweise über „Sättigungsbeilagen“ lustig zu machen.

Damit standen mit einem Schlag zwei Probleme im Raum. Das geläufige Mißverständnis, der Autor müsse einen Beitrag zur Lösung der eigenen Lebensprobleme leisten, wehrte Broder mit der Bemerkung ab: „Ich kann Ihnen keinen Rat geben. Ich kann Ihnen aber ein Rezept für einen guten Käsekuchen geben.“ Schwieriger war es, gegen die im Publikum verbreitete Vorstellung anzureden, da komme jemand aus dem Westen [Wo bitte ist der inzwischen? d.säzzer] und okkupiere die Sicht auf die eigene Vergangenheit.

Jegliches Bemühen, die Identifikation mit dem eigenen Leben in der DDR von derjenigen mit dem Staatswesen DDR auseinanderzuhalten, versank in den Untiefen des ost-westlichen Dialogs. Broder war viel zu höflich, um dem Vorwurf, das Monopol auf eine eigene Meinung zu beanspruchen, gegen die zu kehren, die ihn damit konfrontierten. „Wir“ haben hier (in der DDR) gelebt, hieß es vereinnahmend von einzelnen Zuhörern, die die Volksgemeinschaft über das Jahr 1989 hinaus gerettet sehen wollten.

Das im Tonfall besorgter Krankenschwestern beschworene „wir“ abstrahierte jedoch von DDR-Schicksalen wie dem von Claus-Peter K., der zu den Besuchern der Lesung gehörte. In knappen Sätzen schilderte er seinen Fall, der jüngst durch die überregionale Presse ging. Bei Lektüre seiner Stasi-Akten stellte K. fest, daß sein Nachbar und vorgeblicher Freund ihn über Jahre hinweg als IM „Schneemann“ eifrig ausgespitzelt hatte. „Schneemann“ zog gegen die öffentliche Verkündung der Wahrheit gerichtlich zu Felde und bekam Recht. Bei Androhung einer Strafe von 500.000 Mark war es dem Bespitzelten untersagt, den Spitzel öffentlich Spitzel zu nennen. Erst in der letzen Woche war dieses Skandalurteil des Amtsgerichts Potsdam durch das Landgericht kassiert worden, Broder hat darüber in der taz berichtet. Wie viele andere Ostler wird auch Claus-Peter K. keinen Wert darauf legen, mit IM „Schneemann“ noch nachträglich als Teil einer Pseudogemeinschaft vereinnahmt zu werden. Das tat wohl an diesem Abend – die Banalität bestätigt zu bekommen, daß die Allianzen und die Gräben in der politischen Auseinandersetzung quer zur Ost-West-Richtung verlaufen. Peter Walther

Weitere Termine der Lesereihe: 17.2. (L.V. Angerer), 17.3. (Gabriele Stötzer), 21.4. (Marko Martin), 19.5. (Cora Stephan), 23.6. (Joachim Fest). Beginn jeweils 19.30 Uhr in der Galerie Samtleben, Brandenburger Straße 66, in Potsdam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen