„Krieg unter der Fahne des Friedens“

Zum ersten Mal eröffnen jüdische Siedler das Feuer auf einen von israelischen Friedensaktivisten mitorganisierten Protestzug gegen den Siedlungsausbau in der besetzten Westbank  ■ Aus Qissan Inga Sonntag

Die Gruppe von Beduinen hat sich auf einem Hügel versammelt. Würdenträger in traditionellem Gewand mischen sich mit jungen Männern in Jeans und Lederjacken; neben Frauen mit Kindern stehen israelische und ausländische Friedensaktivisten. Auf einem benachbarten Hügel leuchten die roten Dächer der jüdischen Siedlung Ma'aleh Amos, hier in der besetzten Westbank etwa 35 Kilometer südlich von Jerusalem. Ein Stück weiter sieht man noch die Trümmer des arabischen Dorfes, das 1985 von der Besatzungsmacht zur Sperrzone erklärt und niedergerissen wurde. Die Grundrisse der zerstörten Häuser sind noch da, eine kleine Moschee steht verloren in der Gegend.

Die Demonstration richtet sich nicht gegen die Siedlung als solche. Sie hat sich um einen auf einem falschen Hügel stehenden Wohncontainer versammelt: Am vergangenen Donnerstag hatte eine Gruppe von Siedlern ihn hier gemeinsam mit einem weiteren aufgestellt — offenbar als Vorstufe zur Erweiterung der Siedlung. Das war wohl als Provokation einer Gruppe radikaler Siedler gemeint, denn die israelische Regierung billigt Siedlungserweiterungen in dieser Gegend nicht. Am Freitag ordnete die israelische Zivilverwaltung der Westbank die Entfernung der beiden Container an.

Doch an diesem Samstag stehen sie noch da. Die Wände des Containers, vor dem demonstriert wird, sind bereits eingerissen, auf dem Dach flattert eine palästinensische Fahne. „Dies ist die Fortsetzung des Krieges unter der Fahne des Friedens“, erklärt Abu Khaled Al Lahm, einer der Beduinen. „Solche Aktionen richten sich gegen die Völkerverständigung.“

Die Gruppe von Beduinen will nicht nur auf einem Hügel demonstrieren. Sie zieht weiter zum nächsten Hügel, der unmittelbar neben dem mit der Siedlung liegt. Einige junge Männer gehen nicht mit, sondern machen sich am Container zu schaffen, ungeachtet einer Aufforderung der Würdenträger, sich dem Marsch anzuschließen. Nur wenig später geht der Container in Flammen auf. Dichter schwarzer Rauch steigt in den Winterhimmel.

Ein israelischer Militärjeep taucht auf und parkt neben dem verkohlten Gerippe des Containers. Von den roten Dächern ist keine besondere Aktivität zu bemerken. Lediglich von einem Sportplatz dringen Rufe herüber. Ein junger Palästinenser ruft aus Jux etwas zurück.

Plötzlich fallen Schüsse. Ohne Vorwarnung ertönt aus der Siedlung heraus das Geknatter von Maschinengewehren. Die Demonstranten werfen sich zu Boden und robben zur Kuppe des Hügels, um sich auf der anderen Seite in Deckung zu bringen.

Den Jüngeren wird bedeutet, sie sollten verschwinden, um Probleme mit der Armee zu vermeiden. Einige Siedler haben bereits die Verfolgung aufgenommen. Jetzt geht der zweite Container in Flammen auf. Mittlerweile ist ein ganzes Kontingent israelischer Soldaten mit einem runden Dutzend Fahrzeugen eingetroffen. Eine einzige Frage interessiert sie: Wer hat die Container angezündet? Zwei Beduinen werden zum Verhör mitgenommen, die Demonstranten können nach einigem Hin und Her unbehelligt abziehen. Die Siedler dürfen derweil weiter in der Gegend herumschießen. Das kümmert die israelischen Soldaten weiter nicht.

Unten, am Fuße des Hügels, steht schon das Fernsehen. Offenbar per Funktelefon alarmierte Kamerateams aus Jerusalem und Hebron mischen sich unter die Bewohner der Gegend. In dem Gedrängel improvisieren sie eine Pressekonferenz. „Das ist das erste Mal, daß Siedler auf jüdische Friedensaktivisten schießen“, erregt sich Uri Avneri von der Friedensbewegung Peace Now. „Dies symbolisiert eine neue Phase in der Konfrontation zwischen den Siedlern, die von der israelischen Regierung unterstützt werden, und den Palästinensern.“ Die Siedlungspolitik sei Teil eines Planes, die Westbank in „Bantustans“ aufzuteilen.

Am späten Nachmittag werden drei Palästinenser festgenommen, die die Container in Brand gesteckt haben sollen. Shilo Gal, der Leiter des regionalen Siedlerrats, erklärt später, die Siedler hätten geschossen, weil „die Araber anfingen, sich in Richtung der Siedlung zu bewegen“. Offenbar hält er dies für einen Grund, das Feuer zu eröffnen.