■ Die Troika Gysi, Bisky, Modrow setzt sich durch: Mit großer Mehrheit distanziert sich die PDS vom Stalinismus. "Antikommunistische Auffassungen" wirbeln jedoch die gekonnte Parteitagsregie...
: Applaus für Gysi von der bunten Truppe

Eine Richtungsentscheidung hatte Lothar Bisky vor dem Parteitag angemahnt und die Agenturen hatten bereits den Sieg der Reformer gemeldet, da geriet der Bundesparteitag der PDS am Freitag abend doch noch aus den Fugen. Denn es war mitnichten so, wie es das Neue Deutschland am Samstag auf der ersten Seite meldete, daß der Parteitag das Fünfpunktepapier bereits „ohne die Abstimmung von Änderungsvorschlägen“ verabschiedet hätte.

Die Mehrheit war knapp, aber plötzlich stand das Wort da. In einem Atemzug mit „chauvinistischen, rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Auffassungen“ beschlossen die Delegierten, auch „antikommunistische Auffassungen“ seien „mit der Mitgliedschaft in der PDS unvereinbar“. Es dauerte eine Zeit, bis sich der Parteitag bewußt wurde, was er angerichtet hatte. Erst als eine Reihe von Delegierten und Gästen empört an die Mikrophone eilen, wurde auch dem letzten im Saal klar, daß das Signal des Parteitags mißraten war. Mit diesem Beschluß drohte der Abgang der parteilosen Antikommunisten Heinrich Graf von Einsiedel und Gerhard Zwerenz aus der PDS-Bundestagsfraktion.

Zwerenz hatte sich im Vorfeld des Parteitages als Antikommunist geoutet – „tagelange Vernehmungen im März 1957 durch den Chef der Staatssicherheit im Bezirk Leipzig“ hätten ihn dazu gemacht – und seinen Verbleib davon abhängig gemacht, daß dies in der PDS akzeptiert werde. Mit dem Beschluß gegen Antikommunisten wäre an eine Westausdehnung kaum mehr zu denken gewesen.

Dabei hatte der Parteitag so gut begonnen. Bisky hatte mit einer versöhnlichen Rede die Wogen geglättet, der Schriftsteller und Bundestagsabgeordnete Stefan Heym, die Schauspielerin Käthe Reichel und der Pfarrer Dieter Kelb aus Duisburg-Rheinhausen hatten die Delegierten auf den Kurs der Troika Bisky, Gysi und Modrow eingestimmt. Eine gute Parteitagsregie nennt man das wohl. Selbst Sahra Wagenknecht wurde ordentlich mit Beifall bedacht. Vom „Diktat der Medien“ sprach sie, dem sich die Partei nicht beugen dürfe, und von der bitteren Erfahrung, daß dieses „ohne die Methoden einiger führender Genossen“ nicht möglich gewesen wäre.

Nach ihrer Einschätzung des Prager Frühlings 1968 gefragt, kam die „liebe Sahra“ doch ins Schwimmen. Zwar vermied sie, anders als in ihrem Buch, den Begriff Konterrevolution, legte sich dann aber doch fest: „Letztendlich war es eine Gegenrevolution.“ Hier hakte Gregor Gysi nach. Nur wenn die PDS den Einmarsch in Prag eindeutig „als Tat gegen den Sozialismus“ verurteile, könne sie heute glaubwürdig antimilitaristische Politik machen. Wie in fast jeder Situation brachte Gysi den Parteitag hinter sich, der Beifall legte die Mehrheitsverhältnisse offen.

Mit großer Mehrheit beschlossen die Delegierten die Troika- Thesen, ohne Änderungsanträge zuzulassen. Doch die Geschäftsordnung hatte so ihre Tücke, und weil vergessen wurde, einen weitergehenden Antrag abzustimmen, mißlang der Coup. Und während sich die einen darüber empörten, daß es undemokratisch sei, ohne die Zulassung von Änderungsanträgen die fünf Thesen durchzupowern, witterten die anderen ihre Chance, „die Gleichsetzung der SED-Politik mit Stalinismus“ zu verhindern, wie der Bundestagsabgeordnete Uwe Jens Heuer formulierte.

Artig hatten die Delegierten den Berliner Antrag, der die Oppositionsrolle der PDS festschreiben wollte, niedergestimmt. Auch alle Versuche, die Distanzierung vom Stalinismus aufzuweichen, wiesen sie mit großer Mehrheit zurück. Doch bei der Frage des Antikommunismus entlud sich der Druck, unter den die Führung die Partei gesetzt hatte. Daß die Kommunistische Plattform (KPF) die Formel vom „modernen Antikommunismus“ geprägt hatte, um die Politik der PDS-Führung zu kritisieren, wurde zwar nicht offen ausgesprochen, aber Gysis betretene Miene nach der Abstimmung machte die Brüskierung unübersehbar.

Doch das Krisenmanagement funktioniert in der Partei. Über Nacht strickte das PDS-Küchenkabinett eine Kompromißformel. Die PDS „darf nicht antikommunistisch sein“ soll es nun heißen, und darüber hinaus sei die PDS nicht bereit, auf „demokratisch-kommunistische Positionen“ in ihren Reihen zu verzichten. Im Namen der Kommunistischen Plattform bietet Ostberlins letzte FDJ-Bezirkssekretärin Ellen Brombacher an, den Satz über den Demokratischen Kommunismus wieder zu streichen. Dann wolle man sich, so hätten sich die Delegierten der KPF verständigt, mit Gysis Kompromißformel zufriedengeben – der Bündnispolitik der PDS zuliebe, und um eine Zerreißprobe auf dem Parteitag zu verhindern.

Die Gegenrede hält Lothar Hertzfeldt, in der Wende Mitbegründer der Kommunistischen Plattform. Zwar sei demokratischer Kommunismus eine Tautologie, sie sei jedoch nicht falsch. Nicht alles, was in der Geschichte im Namen des Kommunismus verbrochen worden sei, sei demokratisch gewesen, und deshalb stimme es ihn nachdenklich, daß einige Delegierte damit ihre Schwierigkeiten hätten. Sprach's und fügte hinzu, dies sei sein letzter Tag in der Kommunistischen Plattform.

Plötzlich stehen die Delegierten der Kommunistischen Plattform ganz alleine. Kein Appell an die gemeinsamen DDR-Erfahrungen und kein empörter Fingerzeig auf das „Diktat der Medien“ kann die Delegierten noch zur Unterstützung der KPF bewegen.

Einzig Jens-Uwe Heuer empört sich vor laufenden Kameras über den Ausgrenzungskurs des Parteitags. „Du machst uns mit deiner Eitelkeit die Partei kaputt“, rufen ihm Parteifreunde zu, und einer derjenigen, die Lothar Hertzfeldt zur rechten Zeit an den richtigen Ort gelotst haben, feixt: „Welch ein Glück, daß niemand gemerkt hat, daß Lothar kein Delegierter war.“ Gäste haben auf dem Parteitag kein Rederecht. Christoph Seils