Büchermachen nach '33

■ Bremer Buchlese (1): Helmut Donat, ein Kleinstverleger und sein fanatisches Verhältnis zur deutschen Geschichte, Biographien und Büchern

„Ich bin ein guter Lektor. Denn ich bin sehr pingelig“, sagt der Bremer Kleinstverleger Helmut Donat vom gleichnamigen Donat-Verlag. Währenddessen schneidet er die Bockwurst in der Kartoffelsuppe akribisch in kleine Scheiben. Doch schon kurze Zeit später vergißt er die Suppe. Seine Erzählungen über den eigenen Verlag und die damit verbundene Donatsche Ideologie nehmen ihn zu sehr in Anspruch. „Mein Programm ist das andere Deutschland, diese andere Traditionspflege. Ich will bestimmte Dinge nicht übersehen. Wir haben uns noch lange nicht davon wegbewegt, was Ausschwitz ist“, sagt er.

Der Bankkaufmann, Lehrer, Historiker und nun Verleger Donat fing an, Bücher zu sammeln, die er zum Thema Friedensbewegung in der Weimarer Republik fand - „dieser ganz verdrängten Tradition in diesem Land“.

Er kaufte ganze Wagenladungen aus Nachlässen. Der Rest ging auf den Flohmarkt. An die 10.000 Bände kamen bei seiner Sammelwut zusammen. „Für Umzüge ist das ganz blöd“, sagt er. Später sammelte er „KZ-Literatur“ - Bücher über die Erinnerungen von KZ-Häftlingen. „Man muß wissen, was es konkret für den einzelnen Menschen bedeutete.“

Die Frage „Wie konnte es zu 1933 kommen?“ beschäftigt Donat seit der Jugend. Aus der Friedensbewegung vor 1933 bezieht er die Überzeugung, daß der Militarimus in Deutschland immer Vorrang hatte: „Macht ging vor Recht, wenn es im nationalen Interesse lag.“ Und so gebe es „einen Weg vom Kaiserreich zum III. Reich, da besteht ein Zusammenhang“. „Aber das sagen sie mal einem heutigen Historiker. Das ist doch noch tabu“, sagt Donat.

Während seiner Recherchen über die Friedensbewegung stieß Donat auf den Pazifisten Hans Paasche. Eine Spur von Rührung und Ergriffenheit huscht über Donats Gesicht, als er sich erinnert: „Solche Gedanken hatte ich noch nicht gesehen!“ Zum 100. Geburtstag Paasches („Typ Niemöller nach dem ersten Weltkrieg“) wollte er ein Buch veröffentlichen. Als keiner das Thema wollte, entschloß er sich 1981 dazu, es selbst zu verlegen. „Ich hatte keine Ahnung wie man ein Buch verlegt. Auf zwei Tapeziertischen haben wir dann Blätter gelegt, und jeder, der kam, mußte erstmal eine Runde drehen, um sie zusammenzulegen. Unglaublich viel Arbeit.“

„Sie müssen ein Fanatiker sein, sonst können sie das nicht machen. Ein bißchen verrückt“, sagt Donat und holt seine Bücher. Er breitet sie sorgfältig auf der buntgeblümten Plastikdecke des Küchentisches aus.

1984 machte er dann endgültig einen Verlag auf, den Donat und Temmen Verlag. Bei den eigenen Veröffentlichungen in anderen Verlagen hatte es immer wieder Reibereien gegeben. Mit Temmen ging es später auseinander, aber der kleine Donat-Verlag wuchs.

Die Bücher sind individuell gestaltet. So ist aus den „Auschwitz-Kinderliedern“ ein kleines Buch in braunem Packpapier geworden mit einer kargen Schrift. Ein neuverlegtes Buch vom Donat-Liebling Hans Paasche (Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland) ist liebevoll mit afrikanisch anmutenden Bildern ausgestattet. Alle Bücher stehen im weitesten Sinne in „dieser anderen Traditionspflege“, die der Friedensbewegung, des Widerstands und der Erinnerung an Auschwitz. Alle rund 70 lieferbaren Titel aus dem Ein-Mann-Verlag sind in Eigenarbeit entstanden.

Seine Verlagszukunft sieht Helmut Donat allerdings nicht so rosig: „Mit diesen Themen wird es schwieriger. Gleichgültigkeit und Desinteresse steht durchaus im Zusammenhang mit dem Rechtsruck.“ So gerate er in die Position eines Anklägers. Eine Frau habe ihm mal gesagt, er sei von Auschwitz besessen... sinniert er, um gleich wieder auszubrechen: „Ja. Wir müssen Auschwitz in uns tragen! Ich muß dazu Position beziehen.“

Sich trotz allem am Leben zu erfreuen, findet er selbstverständlich. Und erfreut sich sogleich am Anblick eines seiner Bücher: „Ich mache gute Bücher.“

Vivianne Schnurbusch