Rückstau der Strafverfolgung

■ Staatsanwaltschaft schiebt 10.000 Verfahren vor sich her / Jahresbilanz '94

Bei der Bremer Staatsanwaltschaft warteten zum Jahresbeginn 10.372 Verfahren auf einen Staatsanwalt, der sie bearbeitet. Das waren zwar 750 weniger als noch zum Jahresbeginn 1994, noch immer aber „viel zu viele“, wie Generalstaatsanwalt Hans Janknecht gestern versicherte. Um im Bundesvergleich einigermaßen mithalten zu können, müßte die Bremer Staatsanwaltschaft ihren Bearbeitungs-Rückstau um mindestens 2.500 Fälle abbauen. Daß das möglich sein wird, hofft der Leitende Oberstaatsanwalt Jan Frischmuth: „In unseren neuen Räumen und mit der EDV, die bis Ende des Jahres flächendeckend eingeführt sein wird, werden wir eine der modernsten Staatsanwaltschaften bundesweit. Wenn der Geschäftsgang dann noch nicht funktioniert, liegt es an uns und nicht mehr an der schlechten Ausstattung.“

Janknecht und Frischmuth zogen gestern vor der Landespressekonferenz ihre Jahresbilanz. Mit 118.182 Eingängen sei die „bekannt gewordene Kriminalität“ im Land Bremen 1994 gegenüber 1993 um sieben Prozent gesunken. Eine Ausnahme zu diesem bereits seit 1992 beobachteten allgemeinen Trend zeigt sich allerdings bei der Jugendkriminalität. Im Bereich der unter 21jährigen verzeichnete die Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr eine Zunahme der Fälle um 18 Prozent auf 8.277. Ursache dafür seien insbesondere Ladendiebstähle und die gezieltere Verfolgung von „Intensivtätern“ und Kleinhändlern im Drogenmilieu.

Sorgen machen der Staatsanwalschaft auch die immens wachsenden Kosten der Ermittlungen. So habe im letzten ein einziges Verfahren allein 500.000 Mark Dolmetschergebühren verschlungen. Nach dem Überfall auf die Bremer Pflandleihe seien im Rahmen bundesweiter Ermittlungen auch in Bremen in großem Maße Telefongespräche in türkischer Sprache abgehört und übersetzt worden. Dabei gab es zudem noch ein technisches Problem: „Im Bereich der organisierten Kriminalität wird nur noch mit D-Netz-Handys gearbeitet“, sagte Oberstaatsanwalt Frischmuth, „das macht das Abhören auch für uns besonders schwierig.“ Das erforderliche Gerät koste 120.000 Mark und sei in Bremen noch nicht angeschafft worden. Frischmuth: „Deshalb müssen wir die Abhöreinrichtungen wochenweise für viel Geld anmieten.“

Manchmal allerdings fließt auch Geld in die Justizkassen zurück. So sei 1994 ein Verfahren gegen 1,2 Millionen Mark Bußgeld eingestellt worden. Umstände und Namen wollten die Staatsanwälte nicht nennen. Aus den neuen Gesetzen gegen Geldwäsche haben Bremens Strafverfolger allerdings noch keinen Nutzen gezogen. Zwar gab es 1994 insgesamt 41 Anzeigen von Bremer Banken, deren Mißtrauen zum Beispiel durch eine Auslandsüberweisung von 2,4 Millionen Mark oder eine Bareinzahlung von einer Million Mark geweckt worden war. Die weiteren Ermittlungen führten aber in allen Fällen zur Einstellung der Verfahren.

Sorgen macht der Staatsanwaltschaft die deutliche Zunahme von Verfahren gegen Bremer Rechtsanwälte. Nachdem jahrelang überhaupt nicht gegen Anwälte ermittelt worden war, gab es 1994 „eine ganze Reihe von Verfahren wegen Veruntreuung von Mandantengeldern“, sagte Generalstaatsanwalt Janknecht. Dabei gehe es oft um „sechs- bis siebenstellige Summen“. Noch höhere Beträge sind bei den Ermittlungen gegen Warenterminhändler im Spiel. Janknecht: „Wir wissen nicht, woran es liegt, aber die betrügerischen Broker haben sich offenbar in Bremen konzentriert.“

Fünf größere Verfahren stehen zur Zeit kurz vor der Anklage-Erhebung. Einer Gruppe von 14 kurdischen Familien soll Rauschgifthandel in großem Umfang vorgeworfen werden. In einem anderen Verfahren geht es um Menschenhandel mit litauischen Frauen, die in Bremen zur Prostitution gezwungen und brutal mißhandelt worden sein sollen. Zwei mafiaähnliche Gruppen sollen von Bremer Unternehmen rund 200.000 Mark Schutzgelder erpreßt beziehungsweise teure Autos ins Ausland verschoben haben.

Und schließlich wird demnächst Anklage wegen Betrügereien bei der Blindgänger-Räumung gegen den früheren Bremer Sprengmeister Harry Warrelmann und andere erhoben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß der Staatskasse dabei ein Schaden von insgesamt 1,3 Millionen Mark entstanden ist. Janknecht: „Ansonsten sind Verfahren wegen Korruption in Bremen aber eine Seltenheit. Ase