■ Rekrutenvereidigung: Keine Entwarnung
Dreist genug war der Vorschlag. Nach dem Großen Zapfenstreich im vergangenen Jahr nun eine öffentliche Rekrutenvereidigung am Brandenburger Tor; die einst entmilitarisierte Stadt wieder mit den Insignien des Militarismus geweiht, in ihrer Mitte und an ihrer medienwirksamsten Stelle – am Brandenburger Tor. Kein Wunder, daß die Gegner des Spektakels dagegen Sturm liefen oder sich insgeheim ob des unverhofften Demoangebots die Hände rieben. Kein Wunder auch, daß die Sicherheitsexperten unruhig wurden. Schließlich geriet vor über zehn Jahren im Bremer Weserstadion schon einmal eine Rekrutenvereidigung zur Straßenschlacht, und erst vor zwei Jahren mußte sich der freilaufende Verteidigungsminister Rühe im eierwerfenden Halle gegen wütende Demonstranten zur Wehr setzen. In Berlin und Potsdam schließlich, das weiß auch das Wehrkommando-Ost, ist die Anzahl der Verweigerer ebenso groß wie die Proteste der Antimilitaristen, ohne deren Gleisblockaden – wie zuletzt in Drewitz – meist kein Bundeswehrzug in die Kasernen fährt.
Die Sicherheitsbedenken alleine waren aber nicht der Grund dafür, daß sich Diepgen als Wahlkämpfer zwar für eine öffentliche Vereidigung ausgesprochen, sich als Regierender Bürgermeister jedoch eher zurückgehalten hatte und die Bundeswehr sich nun schmollend hinter heimischen Stacheldraht zurückzieht. Es ist vor allem das Datum der Vereidigung, das der von Diepgen geforderten „Normalisierung“ im Wege steht. Gerade jetzt, im Vorfeld der Feierlichkeiten zur Befreiung Deutschlands und pünktlich zum 40. Jahrestag der umstrittenen Bundeswehrgründung, hätte ein Signal des Senats in Richtung Militarisierung Deutschlands vor allem im Ausland einmal mehr Kritik und Kopfschütteln hervorgerufen.
Ausgestanden ist der Konflikt freilich nicht. Ist nach dem 8. Mai den Deutschen erst einmal die Absolution erteilt, gibt es keinen Grund, daß in ihrer Hauptstadt nicht erneut der Ruf nach „Normalisierung“ laut werden sollte. Uwe Rada
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