„Der bewaffnete Kampf wird wiederaufgenommen“

■ Nordirlands Katholiken sehen den schleppenden Friedensprozeß mit Skepsis

Dublin (taz) – Der IRA-Armeerat, so heißt es in eingeweihten Kreisen, beginnt in den nächsten vierzehn Tagen mit einer Bestandsaufnahme des nordirischen Friedensprozesses, die etwa Ende März abgeschlossen sein wird. Dazu gehören Konsultationen der rund vierhundert IRA-Mitglieder sowie der IRA-Gefangenen. Eine unbegrenzte Fortsetzung des Waffenstillstands kann nach den IRA- Statuten nur durch eine Armeeversammlung mit Zweidrittelmehrheit abgesegnet werden, doch benötigt man in der Praxis wohl die Zustimmung von mindestens vier Fünfteln, will man nicht eine Spaltung riskieren. Die letzte Generalversammlung fand 1986 in Südirland statt – getarnt als Kongreß von Brieftaubenzüchtern.

Am stärksten ist der Widerstand gegen eine Fortsetzung der Waffenruhe in den Grenzgebieten der nordirischen Grafschaften Armagh und Tyrone, wo die britischen Armeestützpunkte per Hubschrauber versorgt werden müssen, weil die IRA die Straßen beherrscht. Es ist bekannt, daß die Vertreter dieser Regionen im IRA-Armeerat gegen den Waffenstillstand stimmten, weil sie befürchteten, daß die britischen Soldaten nun die Kontrolle über die Gebiete zurückerobern.

„Aus meiner Erfahrung weiß ich, daß die IRA-Basis in Tyrone dem Waffenstillstand keinen großen Wert beimißt“, sagt Bernadette Devlin-McAliskey, die 1969 als jüngste Abgeordnete für Sinn Féin ins Londoner Unterhaus gewählt wurde und die Sinn-FéinPolitik in den vergangenen Monaten wiederholt scharf kritisiert hat. „Die meisten vertrauen der Sinn-Féin-Führung zwar und unterstützen sie, aber ich kenne niemanden in Tyrone, der persönlich für diese Strategie argumentiert. Es handelt sich bestenfalls um Tolerierung.“

Auch in der IRA-Hochburg West-Belfast wächst die Skepsis. „Niemand hier im Viertel glaubt, daß der Prozeß irgendwo hinführt“, sagt der Ex-Häftling und Sinn-Féin-Aktivist Fergal. „Die meisten scheinen sich damit abgefunden zu haben, daß der bewaffnete Kampf wiederaufgenommen wird. Die Briten sind in praktisch allen Punkten unnachgiebig, ob es um die Demilitarisierung, die IRA-Waffen oder die Gefangenen geht. Wenn der Waffenstillstand zusammenbricht, kann Albert Reynolds sich den Friedensnobelpreis abschminken.“ Wie vorgestern bekannt wurde, hatte die ehemalige irische Regierungspartei Fianna Fáil den früheren Parteichef und Premierminister Reynolds wenige Tage vor seinem Sturz im vergangenen November für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen – wegen „seiner Verdienste um den Frieden in Nordirland“. Reynolds hat schriftlich bei allen EU-Regierungen um Unterstützung dafür gebeten – außer bei der britischen.

Die Regierung in London, so meint Fergal, habe bisher Kosmetik betrieben: die Soldaten patrouillieren tagsüber nicht mehr auf den Straßen, sondern bleiben in den Kasernen; Sinn Féin darf Vorgespräche mit niederrangigen Regierungsbeamten führen; Sinn- Féin-Mitglieder werden im Radio und Fernsehen nicht mehr zensiert. Wichtig seien jetzt aber politische Schritte. Die erhofft man sich von einem Rahmenplan, den die Regierungen in London und Dublin als Grundlage für Allparteiengespräche vermutlich auf einem Gipfeltreffen Ende Februar vorlegen werden.

Mit Sicherheit wird dieser Plan eine Formel für die Abschaffung des britischen Irlandgesetzes von 1920 sowie von Artikel 2 und 3 der irischen Verfassung enthalten – bisher die Grundlagen dafür, daß beide Staaten Anspruch auf Nordirland erheben. Der Rest steht in den Sternen. Gesamtirische Institutionen mit Entscheidungsgewalt, wie Dublin sie fordert, werden von den nordirischen Unionisten abgelehnt, und Major – der im britischen Parlament auf ihre Stimmen angewiesen ist – hat ihnen versprochen, daß so etwas nicht in Frage komme. Höchstens eine Kompetenzerweiterung für die existierende anglo-irische Regierungskonferenz ist im Gespräch. Was bleibt, ist die Erkenntnis des Nordirlandministers Patrick Mayhew, daß man „Gerry Adams helfen“ müsse, damit er nicht abgesägt wird. Mayhews Vorgänger Peter Brooke bezeichnete den Sinn- Féin-Präsidenten in einem BBC- Interview gestern abend als „einen mutigen Mann, dem die Welt dankbar sein“ sollte.

Selbst die konservative irische Presse verliert inzwischen die Geduld. Major habe aufgrund seiner Abhängigkeit von den Unionisten Sinn Féin nichts Substantielles anzubieten, schreibt der Kolumnist des Dubliner Wirtschaftsblattes Sunday Business Post, Tom McGurk: „Für die Londoner Regierung ist der Friedensprozeß längst zum Gauklertrick geworden, den man solange wie möglich aufrechterhalten will. Gleichzeitig will man Dublin davon überzeugen, daß lediglich ein für die Unionisten akzeptables Minimum im Angebot ist.“ Wenn dieser Punkt erreicht ist, so glaubt McGurk, wird Sinn Féin kaltgestellt. Ralf Sotscheck