Der Geschäftspartner als Feind

■ An der Grenze zwischen Peru und Ecuador stoßen die Gefechte auf politisches Verständnis, aber auch Sorgen / "Wenn es Krieg gibt, hungern die Menschen"

Aguas Verdes (wps) – Es ist ein Krieg der Worte und der Gesten, ein ungemütliches Patt zwischen zwei entlegenen Berggemeinschaften, die aufeinander angewiesen sind. Während in den offiziellen Meldungen aus Ecuador von schweren Gefechten mit vielen peruanischen Opfern die Rede ist, bleibt die Brücke zwischen dem peruanischen Kaff Aguas Verdes und dem ecuadorianischen Nachbarn Huaquillas geöffnet, wie immer tagsüber zwischen 8 und 18 Uhr. Die Schwierigkeit des Grenzübertritts beschränkt sich auf das Übersteigen einer Metallkette. Man kann auch hinunterschlendern zum Kanal, der hier die Staatsgrenze bildet, über Müllberge klettern und das keinen Meter breite Rinnsal überspringen.

Sollte es tatsächlich zum ernsthaften Krieg zwischen Peru und Ecuador kommen, wie die Aufgeregtheit in den Hauptstädten es nahelegt, werden diese verarmten Grenzstädte als erste leiden. Schon jetzt stockt der Handel. Die Bewohner einer ecuadorianischen Stadt sollen sich bereits evakuieren haben lassen, um dem Truppenaufmarsch zu entgehen. Im peruanischen Papayal, nur einige Kilometer von Aguas Verdes entfernt, schicken Männer seit Sonntag ihre Familien ins Landesinnere. Soldaten laufen in den Straßen umher. Munition wird entladen, Checkpoints werden errichtet. Man munkelt von Kriegsopfern. „Die Leute gehen alle, weil sie meinen, die Lage wird ernst“, sagt Agosto Marquez, der in Papayan die peruanischen und ecuadorianischen Rundfunksender abhört. „Man spricht von zwanzig toten Soldaten. Es ist sicherer fortzugehen.“

Wie viele Opfer hat dieser kleine Krieg bisher tatsächlich gefordert? Ecuador will beim Zurückschlagen einer „massiven Offensive“ Perus zwei Hubschrauber abgeschossen und sieben Soldaten getötet haben, was die Zahl der peruanischen Toten auf 20 erhöhen würde, bei drei eigenen Verlusten. Das peruanische Fernsehen berichtet über die Zurückdrängung ecuadorianischer Truppen von einem Grenzposten, wobei ein Peruaner verwundet worden sei.

Perus Militär hat einige Grenzstädte zur Sperrzone erklärt, auch im nicht umstrittenen Gebiet. Im Krankenhaus der Regionalhauptstadt Tumbes haben Soldaten vorsorglich Blutspenden hinterlassen. Der Bäcker in Papayan brüstet sich, er habe einen militärischen Großauftrag bekommen. Der Konflikt um das Berggebiet Cordillera del Condor ist den Einheimischen auf beiden Seiten der Grenze seit der Kindheit ein Begriff. Man lebt damit, manchmal muß man Angst haben. Aber in jeder Krise, in jeder Konfrontation überdauert eine geschäftliche Zivilität, die nur schwer zu brechen ist. Es soll hier Gold und Uran geben – das weiß jeder. Und daher ist der Geschäftspartner von der anderen Seite sowieso ein Rivale und ein potentieller Gegner. „Zeigt, wie wir unsere Erde lieben!“ krächzt es am frühen Morgen aus Lautsprechern in Aguas Verdes, während an der Brücke die Nationalflagge gehißt wird. „Es lebe Aguas Verdes! Es lebe Peru!“ Die Ecuadorianer auf der anderen Seite können das gut hören – das ist daraus zu schließen, daß vom ecuadorianischen Huaquillas die Rufe einer Menschenmenge herüberschallen. „Nieder mit dem Rio-Protokoll!“ hallt da ein Schrei, begleitet von frenetischem Jubel. „Es lebe Ecuador!“. Das Rio-Protokoll, 1942 nach einem blutigen Krieg zwischen Peru und Ecuador unterzeichnet, sprach fast die Hälfte des damaligen ecuadorianischen Staatsgebietes Peru zu. 1960 kündigte Ecuador einseitig das Abkommen auf und verlangte „sein“ Land zurück. Seitdem kommt es immer wieder zu Grenzzwischenfällen.

Der morgendliche Patriotismus dauert nicht lange. Sobald die Fahnen im Winde flattern, öffnet sich der Weg über die Brücke. Peruaner mit Holzkarren voller Zitronen, Zwiebeln und Knoblauchzehen machen sich auf den Weg ins Nachbarland. In Huaquillas öffnen die Ecuadorianer ihre Läden. 1981 war es schlimmer: Da schloß die Grenze für drei Monate.

„Die ökonomischen Bande berühren auch den Magen“, erklärt ein peruanischer Offizier in seinem Hauptquartier in Tumbes. „Wenn es Krieg gibt, hungern die Menschen auf beiden Seiten. Wir verkaufen ihnen keinen Reis, und dann kriegen wir keine Bananen.“

Seine Ehefrau geht jeden Tag im ecuadorianischen Huaquillas zur Schule, erzählt der Offizier. Peruanische Geschäftsleute, die in die Gegend kommen, müssen in Huaquillas übernachten, denn Aguas Verdes hat kein Hotel. Moskitonetze, Kleidung, Elektrogeräte – alles wird „drüben“ eingekauft, sogar das Speiseöl, denn es ist billiger in Ecuador.

Wie lange noch? „Die haben was gegen uns“, meint Rufino López, ein Keramikhändler in Aguas Verdes. „Sie sagen immer, wir würden ihnen Land wegnehmen. Aber schau mal, sie respektieren selber die Grenze nicht“ – und er zeigt über den Kanal auf ecuadorianische Häuser, die unmittelbar am Ufer gebaut wurden, was laut Rio-Protokoll verboten ist. „Stell dir vor, wir wären nicht da. Wenn das hier eine unbewohnte Gegend wäre, hätten die Ecuadorianer sie sich längst genommen.“

Einen Kilometer weiter, auf der anderen Seite der Grenze, sagt der ecuadorianische Uhrenhändler Alonzo Encarnacion, sein Geschäft sei von Peruanern abhängig. Manche kämen sogar aus der Hauptstadt Lima zu ihm. Aber jetzt sei der Krieg wohl die einzige Lösung. „Es mußte irgendwann soweit kommen“, meint er. „Es gibt keinen Ausweg mehr. Die Leute haben es satt.“ Gabriel Escobar