Das PDS-Problem heißt Identität

Nach dem Parteitag verblaßt das blaue Auge, das die Delegierten ihren Parteioberen am Wochenende verpaßten – aber ihre wesentlichen Ziele konnte die Parteispitze erreichen  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Lothar Bisky, alter und neuer Parteichef der PDS, ließ Milde walten, als er gestern im Karl-Liebknecht-Haus, in der Berliner Parteizentrale, Verlauf und Ergebnisse des Parteitages vom Wochenende kommentierte. Drei Tage lang hatte die Parteispitze um Bisky und Bundestagsgruppenchef Gregor Gysi ziemliche Prügel einstecken müssen. Vor allem dafür, daß die PDS-Promis Gysi und Bisky ihren Verbleib in der Parteispitze von der Annahme ihres „Fünf Standpunkte“ genannten Reformpapiers abhängig gemacht hatten. Der wiedergewählte Parteichef sagte dazu gestern im Rückblick: „Es hat Zuspitzungen gegeben.“ Das Ergebnis sei nun „Bewegung in der Partei. Wir treten nicht mehr erfolgreich auf der Stelle.“

Hausgemachte Zuspitzungen hatte es besonders am Sonntag nachmittag bei der Wahl zum Parteivorstand gegeben. Die Delegierten rächten sich und ließen Biskys Favoriten für den Posten des Bundesgeschäftsführers, den PDS- Chefstrategen und Vordenker André Brie, glatt durchfallen. Er konnte nur über den Umweg der erneuten Öffnung der Kandidatenliste abermals für den Parteivorstand in die Parteispitze gehievt werden. Drei Wahlgänge und eine Stichwahl benötigte Chefreformer Wolfgang Gehrcke, um seinen Vizevorstandsposten zu verteidigen.

Während des Parteitages hatten dem Parteichef die Ohrfeigen sichtlich zugesetzt. Gestern mittag schien aller Zorn verraucht: „Ich habe zu großen Respekt vor den Delegierten, als daß ich deren Entscheidungen kommentieren möchte.“ Gehrcke hingegen steckte die Auseinandersetzung um die eigene Person offenbar noch in den Knochen: „Gehen Sie davon aus, daß wir die Lektion vom Parteitag gelernt haben.“

Die Basis scheint ihrem Chef ein wenig wie ein unartiges Volk lernbegieriger Schüler zu sein. „Das Hauptproblem in der PDS ist die Identitätsfindung.“ Deshalb sei auch die Bestätigung des „antistalinistischen“ Grundkonsenses so wichtig gewesen. Und als hätte der Parteitag sein Klassenziel erreicht: „wir sind weiter gekommen“, ein „guter Weg“, die Partei sei „selbstbewußter in der Bescheidenheit geworden“.

Milde auch für die Hauptkontrahentin des Parteivorstandes, die Sprecherin der Kommunistischen Plattform, Sahra Wagenknecht. Die Differenzen zu KPF und Wagenknecht blieben zwar bestehen, so Bisky, er habe aber beim Parteitag „mit Freude zur Kenntnis genommen, daß sie sich eindeutig von den Verbrechen des Stalinismus distanziert hat“. Mit 129 der abgegebenen Stimmen hatte die 25jährige am Sonntag abend zwar knapp den Einzug in den Parteivorstand verfehlt. Die junge Dogmatikerin mit Hang zur Stalin-Ära konnte dennoch jede dritte Delegiertenstimme für sich verbuchen. Gregor Gysi hatte sich bei seiner Vorstellungsrede als Vorstandskandidat ursprünglich nicht zum Junktim „Wagenknecht oder ich“ äußern wollen. Die Versammlung nötigte ihm aber eine Stellungnahme ab. Der Bonner Frontmann ruderte zurück, wollte offenbar kein Öl ins Feuer gießen: „Ich gebe zu, in der entsprechenden Erregung gesagt zu haben, das ist alternativ.“ Zehn Minuten später ward verkündet: Die Wagenknecht hat's nicht geschafft. Den Achtungserfolg im Rücken tat die Philosophie- Studentin der Parteispitze dann den Gefallen – sie kandidierte für den nächsten Wahlgang nicht.

Lothar Bisky bekannte, am Wochenende „unheimlich viel über die PDS gelernt“ zu haben. Bleibt ihm zu wünschen, daß er in folgender Einschätzung fehlgeht: „Ich habe 365 Tage im Jahr Parteitag.“