„Vermeidbar sind nur ein paar Zentimeter“

■ Andreas Krug, Hochwasserexperte des BUND, über „renaturieren“ und entsiegeln“

taz: Herr Krug, jeder fordert mittlerweile, daß Flüsse renaturiert und Flächen entsiegelt werden. Hätte sich das aktuelle Hochwasser damit vermeiden lassen?

Andreas Krug: Sicher nicht. Wenn man ein paar Jahre lang viel entsiegelt und Flüsse umgestaltet, dann wäre der Rhein vielleicht jetzt nicht bei 10,70 Metern, sondern nur bei 10,50 Metern. Aber ein Hochwasser wäre das auf jeden Fall.

Also lohnen alle Gegenmaßnahmen nicht, und wir können nur wehrlos zuschauen?

Nein. Denn eine konsequente Schutzpolitik könnte ja die Höchststände vermeiden – und das ist ja auch eine ganze Menge. Man muß sich nur sehr genau ansehen, was an welchem Fluß zu tun ist. Pauschalrezepte wie „entsiegeln und renaturieren“ helfen da nicht viel.

Nennen Sie mal ein paar Beispiele.

Am Neckar zum Beispiel wird sehr intensive Landwirtschaft betrieben, so daß der Boden wenig Wasser speichern kann. Dort wäre es tatsächlich sinnvoll, Bäche zu renaturieren. Denn die wirken als Puffer und reduzieren die Welle, die aus dem Neckar in den Rhein fließt. Am Main ist die Situation ganz anders. Dort könnte man mit technischem Hochwasserschutz viel erreichen. Es gibt am Main noch etliche Gebiete, die als Überschwemmungsgebiete genutzt werden können. Die dürfen nicht zugebaut werden. Dem Rhein schließlich könnte man natürliche Überschwemmungsgebiete zurückgeben. Sicher lassen sich die alten Rheinauen kaum wiederherstellen, aber man könnte einiges erreichen. Möglich wären in den drei Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen etwa 60 Quadratkilometer, die dann als Wasserspeicher dienen könnten.

Damit wären wir beim aktuellen Streit zwischen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Der Vorwurf aus NRW lautet ja: Stuttgart läßt Köln ersaufen, weil die Polder nicht rechtzeitig geöffnet wurden.

Da ist relativ wenig dran. Es geht dabei nur um ein Gebiet in der Gegend von Kehl. Das hätte das Hochwasser garantiert nicht um zwei Meter reduziert. Selbst wenn man zufällig genau im richtigen Moment das Gebiet öffnet – was man übrigens nicht vorhersagen kann –, dann bringt das höchstens fünfzig Zentimeter.

Stichwort Klima: Welche Rolle spielt denn Ihrer Meinung nach der Treibhauseffekt?

Seriöserweise kann man nicht behaupten, daß der Treibhauseffekt und unsere Hochwasser der letzten Jahre in direktem Zusammenhang stehen. Aber es gibt natürlich eine Tendenz: Wir haben in Mitteleuropa mehr trockene Sommer und höhere Regenfälle im Winter. Doch wir müssen trotzdem gegen den Treibhauseffekt etwas tun. Denn wenn wir die letzte Gewißheit haben, ist es wohl zu spät. Interview: Felix Berth