Point 'n' click
: Sehr realistische Todesschreie

■ „Doom“, „Wolfenstein“ und die Folgen: Computerspiel „Descent“

Wir schreiben das Jahr 2132. Du mußt mal wieder die Welt retten. Immer du. Bloß weil die Stümper der weltumfassenden PTMC-Organisation (Die „Post Terran Minerals Corporation“, die hochtechnisierte Bergwerksstollen auf mehreren Planeten besitzt) die Kontrolle über die vollautomatisierten Fusionsreaktoren in ihren unterirdischen (bzw. unterextraterrestrischen) Stollenanlagen verloren haben, weil die Kampfroboter nun alles beherrschen und – natürlich! – auch noch arme Bergwerksarbeiter da rauszuhauen sind. Du hast natürlich keinen Bock auf den Job, was du dem Schreibtischtäter von PTMC, der dich im Intro bildschirmseitenlang zuquatscht, auch unmißverständlich klarmachst. Aber er bietet dir den dreifachen Lohn. Du machst den Job.

„Descent“ ist ein Weltraumschiff-Kampfspiel. Die Hardware-Anforderungen (ab 8 MB Speicher, 486er mindestens, Pentium [harr, harr! d. Korr.] empfohlen) sind enorm, und tatsächlich braucht mein alter 386er hin und wieder eine kleine Wartepause, in dem der Kampf jäh innehält, weil neue Datenfluten zum Aufbau hochkomplexer Grafik von der Festplatte geschaufelt werden müssen. Wessen Erfahrungen in Ballerspielen sich auf altbekannte Spielhallenklassiker wie „Invaders“ (Taste links, Taste rechts) beschränkt, der betritt mit „Descent“ eine neue Dimension der Raumschiffsteuerung. Der 3-D-Effekt ist perfekt, und es gibt eigentlich keinen Grund, warum man sich dennoch bemüht, möglichst oben oben sein zu lassen.

Die Spielidee ist bekannt, eine Weiterentwicklung der ID/ Apogee-Spiele „Wolfenstein“ oder „Doom“: auf alles Ballern, was sich bewegt, und alles einsammeln, was sich nicht bewegt. Wobei wir schon beim Punkt sind: Darf man solche Spiele überhaupt gutheißen? Wohl keine anderen Computergames haben im bürgerlichen Feuilleton soviel Wirbel bewirkt wie die obengenannten Vorläuferspiele. Beide sind von der Spielidee – wie gesagt – eher simpel, doch von der grafischen Ausgestaltung her geeignet, auch hartgesottenere Gemüter zu schocken.

In „Wolfenstein“ stürmt der geneigte Spieler als Befreiungskämpfer den Hitlerbunker, der genauso aussieht, wie sich Amis einen Hitlerbunker vorstellen: Hakenkreuze und Führerbilder en masse, Folterzellen, blutbefleckte Wände. Merkwürdigerweise irren hier nicht nur trottelige Nazis rum, sondern auch – recht deplaziert – Ninja-Kämpfer, und unversehens kann man sogar auf eine Art Dr. Mengele treffen, der einen mit Giftspritzen bewirft. Die Geschmacklosigkeit hat hier ein Ausmaß erreicht, welches es einem nicht leichtmacht zu entscheiden, ob man nun darüber lachen oder entsetzt sein soll [klingt mir relativ simpel, d. Korr.].

Das Grauen in „Doom“ ist subtiler und wird entscheidend von der beklemmend-schmierigen Bunkeratmosphäre und von den Geräuschen geprägt: Nach zwei Stunden „Doom“ mit dem ständigen Schreien und Keuchen der Monster im Ohr ist man fix und fertig. Hinzu kommt das perfekte 3-D-Feeling – in „Doom“ ist es den Programmierern verdammt gut gelungen, den menschlichen Bewegungsablauf computergrafisch umzusetzen, während „Wolfenstein“ – aus heutiger Sicht eher primitive Programmierarbeit – ein Feeling vermittelte, als wäre man auf Rollschuhen unterwegs. Doch in beiden Spielen fließt Blut satt, geben die getroffenen Gegner – Soundkarte vorausgesetzt – sehr realistische Todesschreie von sich; für Kinder sicherlich nicht gerade das pädagogisch wertvolle Spielzeug. Ein Bekannter von mir, früher begeisterter „Doom“-Spieler und unterdessen mehr und mehr esoterischen Ideen nachhängend, ging sogar so weit zu behaupten, dieses Spiel sei das inkarnierte Böse, welches unbedingt von allen Festplatten zu tilgen sei, wenn man sein Karma überhaupt noch einigermaßen retten wolle.

Andererseits zeigt die Erfahrung, daß bislang noch kein „Doom“-Spieler mit der Kettensäge McDonald's gestürmt hat – die meisten Spieler, die ich kenne, sind eher friedfertige, wenngleich auch tendenziell weltabgewandte Computerfreaks, die jeglichen Kritikansatz mit Hinweisen auf die „geile Grafik“ und die „toll gemachten Animationen“ wegzuwischen verstehen. Es sei ja nur ein Spiel.

In „Descent“ muß man sich mit derlei Gewissensbissen nicht herumschlagen: Auch hier bewegt sich der angehende Weltretter zwar durch eine eher ungemütliche Welt matschig- brauner Bunkerwände, doch es fließt kein Blut, sondern es werden nur leblose, sterile Kampfroboter mittels Phasern – und was man sonst noch so alles an Bord hat – atomisiert. Der eigentliche Reiz liegt ohnehin weniger im Ballern, sondern darin, die hochkomplexe Steuerung und somit das Schiff immer besser zu beherrschen: Fortgeschrittene „Descent“-Spieler sausen kopfüber, vorwärts, rückwärts und seitlich dermaßen souverän durch die verschachtelten Flugkorridore, daß man schon allein beim Zusehen verstohlen nach den Sicherheitsgurten tastet.

Es versteht sich von selbst, daß einem optional bis zu zehn verschiedene Waffensysteme zur Verfügung stehen; kommt man mit den Standard-Bordkanonen nicht weiter, läßt sich die Situation auch einmal mit einer Proximity Bomb (if available) klären – vorausgesetzt, man findet schnell genug die Taste „B“. Findet man sie nicht, darf man wenigstens noch zusehen, wie einem wunderschön animiert die Einzelteile des eigenen Schiffs um die Ohren fliegen. Julian von Heyl

„Descent“. Interplay/Parallax Software, als Shareware kostenfrei, Vollversion rund 80 DM