Der Trabi wird zur Gartenbank

Zerlegen, trennen, recyceln: Eine kleine Firma in Thüringen versucht, Schrottautos möglichst vollständig zu verwerten, verdient gut daran – und ist dem Gesetzgeber voraus  ■ Aus Suhl Heide Platen

Eine Aufschrift an der Rückwand teilt mit, daß der kleine weiße Lieferwagen schon von Hintersteinau bis nach New York gekommen ist. Nun ist in Rohr bei Meiningen, im Süden Thüringens zwischen Hügeln, Wiesen und Wäldern, Endstation für ihn. Da steht der Abwrackasprirant, zusammen mit einigen Dutzend anderen, auf dem Gelände der Firma Faram GmbH. Zwei Stunden wird es brauchen, bis er von zwei Leuten in seine Einzelteile zerlegt ist.

Im Laden nebenan klirrt es sehr laut. Die junge Frau hinter der Kasse bewahrt die Ruhe. „Ach, die Wartburg-Scheibe“, fragt sie den Kunden am Telefon gelassen, „war die für Sie? Die ist gerade abgestürzt.“ Aber „alles andere“ könne er schon mal abholen. Eine kleine grauweiße Katze hebt die Pfoten und stiefelt vorsichtig um den Scherbenhaufen herum. Der Kunde wird eine andere Wartburg-Scheibe bekommen, preiswert und gebraucht.

Die Kunden kommen meist aus der Umgebung. Sie erstehen einen klitzekleinen „Bremsschlauch für den Trabant“, Autoreifen, Türen, Lichtmaschinen und sind zufrieden. Denn, sagen fast alle, „hier sind die Leute nett, und die Preise stimmen“. Das Firmenkonzept leuchtet ihnen auch ein: „Was die hier machen, ist doch viel besser als wegschmeißen.“

Das Konzept heißt „Recycling“. Es machte Schlagzeilen, weil die Firma Faram verkündete, sie wolle 98 Prozent aller anfallenden Materialien wiederverwerten. Herkömmliche Autoverschrotter behalten schließlich immer noch sechzig Prozent giftigen Sondermüll übrig. Mittlerweile bleiben, sagt Firmenchefin Karin Mattauch zufrieden, gar nur „noch null Komma zwei Prozent harmloser Hausmüll“ zurück. Altöl, Benzin oder andere Chemikalien und Nichtverwertbares aus den Schrottautos wird zur Beseitigung an entsprechende Firmen weitertransportiert.

Sie und ihr Mann Peter haben den Betrieb 1992 aufgebaut. Die ehemalige Industriearchitektin hatte zuvor eine Autohalle für eine große West-Firma gebaut, sich dabei ihre Gedanken gemacht und umgesattelt. Im neuen Gewerbegebiet von Rohr entstand ihr Betrieb mit inzwischen 37 Arbeitsplätzen nach neuesten umwelttechnischen Kriterien. Ein Teil des Stroms kommt schon aus der neuen Photovoltaikanlage.

Auch die besonders umweltfeindlichen Trabi-Karosserien, eine Klebemasse aus Jute und Phenolharz, werden wiederverwertet. Der Firmen-Trabi wird allerdings nicht verschrottet. Er ist, gelbgrün gestrichen, das Firmen-Credo. Auf dem Kühler räkeln sich drei Dryaden nebst lexikalischer Erläuterung: „Behüterinnen der Natur in der griechischen Mythologie“. Vor der Ladentür wird präsentiert, was in eigener Produktion aus einem Auto werden kann: Blumentröge und -kästen, schlichte, stabile Tische und Hocker, Balken für Zäune und Sandkisten. Nebenan ist eine Schreinerei. Dort verarbeitet ein Tischler Plastikbalken und Bretter zu Tischen und Bänken. Das Material „läßt sich bearbeiten wie Holz, hobeln, sägen und bohren“. Deshalb sei es, außer als Stadtmöblierung, auch bei Heimwerkern sehr beliebt.

Das allein sei ihr aber, meint Karin Mattauch, weil es auch schon „andere machen“, zu „konventionell und zu langweilig“ gewesen. Sie suchte nach „ihrem Produkt“: umweltfreundlich, sinnvolle Müllverwertung und weiträumig einsetzbar. Seither werden Befestigungen für Parkplätze, Schulhöfe, Straßenränder, Fahrspureinfassungen für Straßenbahnen produziert. Die großen, graugrünen Gitter stabilisieren Flächen, ohne sie zu versiegeln, und sind leichter und haltbarer als Beton. Damit sie aber nicht im Lauf der Zeit zerbröseln, müsse der Kunststoff von guter Qualität sein. In einer großen Halle wird das aus den Autos entfernte Plastik weiterverarbeitet. Nein, getrennt werde der Verbundkunststoff nicht. Das wäre, sagt Mattauch, „zu fitzelig“, zu kostenintensiv und daher kaum durchführbar. Der bei ihr anfallende „Mischkunststoff“ bleibt im eigenen Betrieb und wird ungetrennt weiterverarbeitet. Allerdings „nur zu 20 Prozent“ und auf ein ungefährliches Maß „verdünnt und eingebettet“. Der restliche Anteil kommt von Zulieferern, die Hausmüll sortieren, der über das Duale System eingesammelt wird. Faram erhält ihn säckeweise. Er wird zusammen mit dem im Betrieb anfallenden Plastik „wie in einem Fleischwolf“ gemahlen und zu „Würmern wie Kartoffelstampf“ verdichtet. Ein elektronisch gesteuerter „Extruder“ mischt, schmilzt und preßt den heißen Plastikbrei in Formen. Und damit fängt Mattauchs Ärger heute an. Gerade erst hat sie sich am Telefon heftig mit einem Zulieferer gestritten. Der hatte ihr Plastik gebracht, das nicht fachgerecht aufbereitet war. Die schmale Frau mit dem dunkelroten Haar und den blitzenden grünen Augen ist gründlich empört: „Das riecht schon giftig und ist viel zu bunt. Das ist Sondermüll und kein Wertstoff.“ Sie weigert sich, für Abfall zu zahlen, den sie nicht verwenden kann und „den ich dann auch noch entsorgen muß“. Daß mit der Ware etwas nicht stimmt, hat sie zu spät entdeckt: „Ich hätte das gleich auf dem Lkw vor dem Abladen kontrollieren sollen.“ Der Sackinhalt ist tatsächlich bunt und riecht erst dumpf, dann leicht ätzend. Mattauch führt zum Vergleich ihre eigene Produktion vor, die zwar auch müffelt, aber eher so wie die Mülltonne vorm Haus.

Die Firma Faram entsorgt nicht alles selbst. Sie demontiert, trennt, sortiert, und liefert an Spezialfirmen weiter. Die Autositze zum Beispiel werden „in fünf Komponenten“ zerlegt: Schaumgummi, Schaumstoff, Stoff, Gurte und Metallkern. Die Schaumstoffe gehen an Möbel- und Spielzeughersteller, aus den alten Gurten werden neue. Elektronik, Aluminium, Metall sind, je ordentlicher getrennt, um so begehrter. Die Reifen finden ihre Abnehmer bei Dämmstofffirmen.

Was zum Beispiel passiert mit den Flüssigkeiten? Sie werden, so Mattauch, „trocken gelegt“. Dafür ist eine fragile Konstruktion im „Matschraum“ zuständig. Auf dem hydraulischen Gestell wird der Wagen aufgebockt und vollständig geleert. Benzin, Altöl, Kühl- und Bremsflüssigkeit werden in unterschiedlich gefärbte Schüsseln geleitet, eingesammelt und an Firmen geliefert, die Altöl aufbereiten oder entsorgen. Jetzt plant Karin Mattauch, Öl und Benzin in einem eigenen kleinen Blockheizkraftwerk in Betriebsenergie umzuwandeln.

Über zweieinhalb Millionen Autos sind in den ersten zehn Monaten 1994 in der Bundesrepublik zugelassen worden. Die Menge Schrott und Abfall ist gebirgshoch. Schrotthändler verlangen derzeit zwischen 0 und 100 Mark je Autowrack. Für diese Summe können sie es jedoch kaum fachgerecht entsorgen. Karin Mattauch hat errechnet, daß sie eigentlich 200 Mark nehmen müßte, dann aber nicht mehr konkurrenzfähig wäre. Sie moniert, daß entsprechende Verordnungen des Gesetzgebers auf sich warten lassen.

Zwar hatte der vorige Umweltminister, Klaus Töpfer, eine Altauto-Verordnung angekündigt, die Hersteller und Vertreiber zur Rücknahme und „vorrangig stofflichen Verwertung“ der ausgedienten Wagen verpflichten sollte, doch wie so viele seiner Vorhaben setzte Töpfer auch diese Ankündigung nicht um. Da die Autoindustrie jedoch weiterhin mit einer solchen Rücknahmeverpflichtung rechnen muß, machen sich immer mehr Hersteller Gedanken, wie die Verwertbarkeit von Autobestandteilen schon in der Produktion berücksichtigt werden könnte.

Wer sein Auto abmeldet, so indes die Überlegungen ernsthafter Verschrottungsfirmen, solle ein Entsorgungszertifikat einer autorisierten Firma vorlegen müssen, statt die Kiste in der Landschaft abzustellen oder sie shreddernden umweltsündigen Geschäftemachern und der Müll-Mafia zu überlassen. Außerdem profitieren, sagt Karin Mattauch ärgerlich, bisher nur „die Großen“, die gleichzeitig auch Anteilseigner des Verpackungsverwerters DSD (Duales System Deutschland) sind und für die es eine Kleinigkeit sei, Müll per Schiff in die Dritte Welt zu schaffen. Das sei „nun mal keine Verwertung“.

Der Mittelstand habe das Nachsehen und fange gerade an sich zu wehren, habe zum Beispiel auf dem Deutschen Städtetag „Krach geschlagen“: Die Autorücknahmeverordnung müsse her – verbunden mit festgesetzten Entsorgungsgebühren. Einzelne Landesvorschriften für die Entsorgerfirmen seien schon deshalb nutzlos, weil die Kontrollen nicht funktionieren. Im schlechtesten Fall, weiß Mattauch, die Beispiele in der Region und darüber hinaus kennt, verdrecken die Wracks das Firmengelände, werden profitabel ausgeschlachtet, und der „Rest“ von sechzig Prozent wird durch die Shredder gejagt, das Gehäckselte dann ganz legal auf Hausmülldeponien abgekippt, die die Gemeinden wiederum Geld kosten. Mattauch lobt die Autohersteller, die einem Entsorgungsgesetz positiv gegenüberstünden und mit denen sie zusammenarbeitet. Nur bei der Politik hapere es eben noch.

Wenn das Auto in die Shredder auf dem Hof kommt, fällt nur noch „eine Handvoll“ Restmüll ab. Der Stahlschrott, der in den Container rieselt, ist bei der Industrie begehrt, weil er „sauber“ ist, und bringt deshalb „gute Erlöse“. Das gleiche gilt, sagt sie, für Gummi, Glas und alle anderen sortenrein zerlegten Materialien. In die Restmüllkiste kommt vor allem das, „was Leute so im Auto liegenlassen, Kehricht, Kippen, Koffer, Regenschirme, einmal sogar ein Klobecken“.

Inzwischen hat sich Karin Mattauch eine sorgsam gehütete Kartei von Firmen erarbeitet, die ihren strengen Kriterien entsprechen: „Es findet sich für alles ein Abnehmer oder Entsorger. In der Branche ist viel Bewegung.“ Was noch brauchbar ist, wird vom Computer registriert, mit einem Strichcode versehen und kommt in das Ersatzteilelager. Gerade diese Müllvermeidung ist eine der Haupteinnahmequellen, die andere Firmenteile „subventioniert“.

Für die Zukunft, so Mattauch, habe nur eine wirklich saubere Trennung Chancen, wenn aus dem Abfall wieder „Wertstoff“ werden soll. Inzwischen entsorgt sie auch die Altlasten der hektischen Wendezeit. Kommunen beauftragen sie damit, die am Straßenrand stehengelassenen Trabi-Wracks einzusammeln. Gerade räumt sie einen ganzen Stellplatz ab, den ein „Wessi“-Aufkäufer einfach in der Landschaft zurückgelassen hat, als er sich, unerkannt, aus dem Staub machte.