Das Beitrittsgebiet als Goldgrube

■ Bremer Buchlese (2): Mit Ratgebern für die Betriebsräteszene eine Erfolgsstory schreiben

Ratlose in allen Lebenslagen scheinen sich in Buchhandlungen in die unattraktive Ecke mit den Sachbüchern zu verirren. Wie verstümmele ich mich selbst mit Do-it-yourself? Wie betrüge ich das Finanzamt legal, mit 1000 Steuertricks? Was hilft gegen Kater aus der Selbstheilschule?

Jedes neue Zeitgeistphänomen, jede entdeckte Sucht schlägt sich nach dem Motto „Wenn Frauen zu viel lieben“ als therapierbar in einer Sintflut von Titeln auf dem Sachbuchmarkt nieder. Und hier, auf den Wühltischen der Titel, soll für einen Bremer Kleinverlag noch kurzfristig was zu holen sein?

Klaus Kellner ist mittlerweile Vorsitzender der Fachgruppe Verlage in Bremen. Die Probleme, vor die sein Sachbuchverlag gestellt war, sind typisch für eine kleine Edition - die Lösung hingegen ist genial. Nur drei Jahre nach der Gründung macht der 1-Mann-Betrieb des Seiteneinsteigers einen Jahresumsatz von satten 1 Million Mark. Wie wird der Kleinverlag zur Goldgrube? Hinter seiner modischen Brille guckt Verleger Kellner verschmitzt hervor. „Ich habe einfach den richtigen Riecher gehabt. Und das Timing stimmte.“ Bei genauerem Hinsehen ist das noch leicht untertrieben, die Geschäftsidee könnte von Forbes stammen. Unter Ausschließung sämtlicher Zwischenhändler gelingt es Kellner aus Bremen, direkt nach dem Fall der Mauer mit dringend notwendigen Rechtshilfen und Ratgebern und Titeln wie „Kündigungen erfolgreich verhindern“ in den Markt der Betriebs- und Personalräte in DDR-Betrieben vorzustoßen. Seine Kundschaft hat dringenden Handlungsbedarf und ein riesiges Informationsbedürfnis. Schließlich gelten die Spielregeln des alten DDR-Arbeitsrechts nicht mehr, wenn die Treuhand den Betrieb an einen Investor verkauft.

Und Klaus Kellner war lange genug Gewerkschaftsmann, um zu wissen, daß er jetzt keine teuren Anzeigen schalten muß, um Bücher über gesamtdeutsches Kündigungsrecht zu verkaufen. 16 Jahre lang war er Bildungssekretär der ÖTV in Bremen, jetzt weiß er: die potentiellen Interessenten sitzen in den DDR-Betrieben „Zirka 3000 Betriebsräte mit etwa drei bis fünf Mitgliedern sind mit einer neuen Situation konfrontiert. Mit nur 15 selbst produzierten Titeln und einem kleinen Sortiment von 300 Fachtiteln können sie direkt angeschrieben und beworben werden. Das ist der Vorteil, wenn man vom Fach ist. Damals, ich hatte gerade 1988 meinen Verlag gegründet, war ich konkurrenzlos mit der Idee.“ Bereits 1991 macht Klaus Kellner mit nur 50 Titeln 75 Prozent seines Umsatzes. Die Bücher werden von ehemaligen Gewerkschaftssekretären, Betriebs- und Personalräten geschrieben, Verbindungen die Klaus Kellner vor Jahren geknüpft hat. Solch eine sichere Bank läßt jeden Unternehmensberater grün vor Neid werden.

„Der Fehler ist oft falsche Begeisterung.“ weiß Kellner unbedachte Kollegen zu tadeln. Der Verleger selbst neigt nicht zu Hirngespinsten, wie viele der traumverlorenen Ex-Lehrer, die in ihre eigenen Bücher verliebt sind. Er hatte beim Berufswechsel nicht den ehrgeizigen Plan eine Lanze für die schöne Literatur zu brechen. Und wahrscheinlich ist ihm sogar der Erfolg gelungen, weil ihm nicht viel an Büchern liegt. Er bleibt pragmatisch: „Ich frage mich zu allererst, wird eine genügend große Anzahl von Käufern bereit sein, den Preis X wirklich für ein Buch auszugeben. Nicht anders herum, eine Buchidee produzieren, nur weil sie schön ist.“ Das Konzept ist für die Branche, in der Idealismus besonders unter Kleinverlegern als Droge gehandelt wird, verblüffend bodenständig. Den Produkten sieht man die Philosophie des Verlages an: nüchtern und praktisch, bis zur Fadenheftung. Auch diese Herstellungsweise, sonst als Fetisch in Paperback-Zeiten von Bücherfreaks gepflegt, hat im Sachbuchverlag eine nüchterne Erklärung. „Fadenheftung mach ich immer, damit man die Bücher aufgeschlagen flach auf den Tisch legen kann, schließlich sind es Nachschlagewerke, die müssen, auch wenn das Telefon klingelt, ohne zu verblättern offen liegen bleiben.“

Nun, wo er sich mit seinem Verlag etabliert hat, scheint auch Klaus Kellner doch noch die typischen Verlegersehnsüchte nach „was Schönem“ zu entwicken. Und schließlich ist' ja kein finanzielles Risiko mehr damit verbunden. Das von der Lokalgröße Lothar Herborth angelegte Gästebuch des Gasthofs Kaiser Friedrich trägt zumindest einen schönen Namen: „Menschen, Biere, Sensationen“. Zu lesen gibt's darin zwar nicht viel, aber auch hier sind die potentiellen Käufer leicht zu ermitteln: denn das sind außer Betriebsräten alle von Wedemeier bis zum Filmsternchen: Tausende von Abonnenten der Lokalrunde im „Kaiser Friedrich“.

Susanne Raubold