Geschäfte, Gespräche, Gefechte

Die UNO verläßt die somalische Hauptstadt / Karussell der Kriegsvorbereitungen: Aidid verliert seinen engsten Freund, die Hilfsorganisationen ziehen ab, und Gewehre sind wieder begehrt  ■ Aus Mogadischu Bettina Gaus

Die Möbelwagen stehen abfahrbereit. Gleich hinter dem eisernen Eingangstor des UNO-Hauptquartiers in Mogadischu sind schwere Lkw säuberlich aufgereiht, mit Containern beladen. Dort, wo bis vor wenigen Wochen klimatisierte Fertighäuser aufgebaut waren, liegen nur noch einige Blechtonnen und ein grüner Plastikeimer im schmutzigen Sand. Nichts wird zurückgelassen: Auf einem Lastwagen türmen sich roh gezimmerte Holzbänke.

Ein Pfeil weist den Weg zur Schulungsstätte der somalischen Polizei. Aber dort wird niemand mehr ausgebildet, und der somalische Polizist, der sich drei Kilometer entfernt mehr als ein Jahr lang vergeblich darum bemüht hatte, den Verkehr an einer großen Kreuzung der Hauptstadt zu regeln, steht auch nicht mehr da. Für die Autofahrer bedeutet das eine kleine Erleichterung: Bei dem Versuch, ihn von allen Seiten gleichzeitig möglichst sorgfältig zu umfahren, hatten sich hier zu fast jeder Tageszeit Staus gebildet.

„Mit dem Kommandeur wollen Sie sprechen? Mit welchem? Keine Ahnung, wo der ist.“ – „Ich glaub', der ist da drüben.“ – „Nein, vielleicht da hinten. Warten Sie, ich frage mal jemand anders.“ Die pakistanischen Soldaten, die gegenüber dem UNO-Hauptquartier zwischen ihren leergeräumten Quartieren auf und abschlendern oder in der Sonne dösen, sind hilfsbereit und ratlos. „Am Flughafen ist er“, erklärt schließlich einer, der ihn hat abfahren sehen. Und sein Vertreter? Schulterzucken. „Es gibt keinen Vertreter.“ Pause. „Der ist auch am Flughafen.“

Einen Tag später sind alle am Flughafen. Im Dunkel der Nacht, ohne vorherige Ankündigung, haben die letzten Blauhelme das UNO-Hauptquartier endgültig geräumt. Wenige Stunden später ist es erneut besetzt – von Somalis, die hoffen, an der verlassenen Stätte noch irgend etwas Brauchbares zu finden, und von Milizen des Fraktionschefs General Farah Aidid.

Viel ist es nicht, was hier noch von den 160 Millionen Dollar zeugt, die die Vereinten Nationen in den letzten zwei Jahren für den Aufbau der Infrastruktur und den Geschäftsbetrieb ausgegeben haben. Das Gelände hat auch keine große militärische Bedeutung. Und dennoch haben Aidids Milizen mit der Besetzung einen Sieg errungen – psychologischer Art.

Kaum jemand in Mogadischu, ob Somali oder Ausländer, zweifelt daran, daß rivalisierende Gruppen in den nächsten Wochen den Kampf um Hafen und Flughafen aufnehmen werden. Es sind sichere Einkommensquellen, strategisch bedeutsam und die beiden einzigen Orte in der Stadt, an denen jetzt noch ausländische Truppen stationiert sind. Die Eroberung des ehemaligen UNO-Hauptquartiers, das in letzter Zeit verschiedene somalische Fraktionen für sich reklamiert hatten, war die Generalprobe für den Kampf um die Macht und die Kontrolle über die Hauptstadt nach Abzug der UNO. Aidid hat seine Ansprüche unterstrichen. Mit Erfolg.

Aber es ist zu bezweifeln, daß der Erfolg ihm treu bleiben wird. „Diese gierigen Idioten sind ein Problem im Augenblick“, sagt über Aidid und dessen Verbündeten Abdullah Yussuf ausgerechnet der Mann, ohne den diese beiden Fraktionschefs wohl niemals so weit gekommen wären, wie sie heute sind: Osman Atto, der über Jahre hinweg als Hauptgeldgeber des Generals gegolten hatte, hat sich jetzt mit seinem engsten politischen Freund entzweit. Vor einer Woche habe er ihn das letzte Mal gesehen, eine halbe Stunde lang. Die Atmosphäre sei „gespannt“ gewesen. „Aidid ist nicht der Mann, für den ich ihn gehalten habe“, meint der Geschäftsmann und fällt ein Urteil, das aus anderem Munde schon oft zu hören war: „Ich halte ihn mehr für einen Diktator als für einen Demokraten.“

Somalische Allianzen und Feindschaften waren in den letzten Jahren nie verläßlich und für den Außenstehenden stets schwer zu durchschauen. Jetzt ist die Geschwindigkeit, mit der sie zerbrechen und entstehen, schwindelerregend geworden. Jeder spricht mit jedem – jeder mißtraut jedem.

Osman Atto gehört zu einer Delegation aus dem Süden Mogadischus, die versucht, mit Vertretern des nördlichen Einflußbereichs von Aidids Rivalen Ali Mahdi zu einer Übereinkunft zu gelangen, derzufolge Hafen und Flughafen künftig gemeinsam verwaltet werden sollen. Aidid aber wünscht nach wie vor, demnächst im Alleingang eine Regierung für ganz Somalia auszurufen. Und einer der engsten Mitarbeiter Ali Mahdis sagt über den Verhandlungsleiter der Delegation von Nord-Mogadischu, den ehemaligen Bürgermeister Ali Ugas: „Der ist ganz unwichtig und spielt überhaupt keine Rolle.“ Damit sagt er genau das, was andere über ihn selbst sagen. Viel bedeutsamer sei es, fährt er fort, daß Abdullah Yussuf und Aidids Verbündeter in der nordsomalischen „Republik Somaliland“, Abdurahman Tur, gerade erst in den letzten Tagen mit Vertretern Ali Mahdis verhandelt hätten.

Gerade die beiden sind allerdings in Aidids Schattenkabinett für bedeutende Posten vorgesehen. Die Partie scheint remis zu stehen. „Vielleicht ist es ganz gut, daß sich jetzt alles noch mehr aufsplittert als zuvor und daß damit alle irgendwie auch an Einfluß verloren haben“, meint die Biologin Starlin Arush. Sie ist Mitbegründerin einer Frauenorganisation im Süden der Hauptstadt, seit langem Treffpunkt zahlreicher Intellektueller, die des Bürgerkriegs und der Clanrivalitäten überdrüssig sind. „Vielleicht gibt es jetzt wirklich eine Chance, daß die Leute ganz neu anfangen, miteinander zu reden.“

Aber auch Starlin Arush glaubt nicht, daß der Bevölkerung Mogadischus weitere Kämpfe erspart bleiben werden. In den Straßen sind längst wieder die sogenannten „technicals“ zu sehen, die berüchtigten Kleinlastwagen mit aufmontierten schweren Waffen. Unter den Fahrzeugen sollen auch einige sein, die von UNO-Truppen konfisziert worden waren und jetzt, irgendwie, den Weg zurück zu den Milizen gefunden haben.

Die ersten Scharmützel haben schon begonnen. In der Nähe des Flughafens wird immer wieder einmal geschossen. In den Hafen sind seit Tagen keine Lastwagen mehr hineingefahren, dafür ist der Haupteingang mehrfach von Lastkraftwagen blockiert worden. „Die streiten sich um irgend etwas“, seufzt Roland Pechmann von der Hafenverwaltung, die im Auftrag des UNO-Welternährungsprogramms WFP die Geschäfte regelt. „Einige sagen, es geht um Ärger zwischen Milizen und Lastwagenbesitzern, andere sagen, es gibt Streit zwischen Milizen untereinander, und es gibt noch mehr Versionen.“

Noch immer erreichen Hilfslieferungen die Stadt. Aus dem vergitterten Fenster von Pechmanns Büro ist der Frachter „Acor“ zu sehen. Er hat gerade 2.500 Tonnen Nahrungsmittel für das WFP herbeigebracht. Und auch kommerzielle Transaktionen „laufen ganz gut“, so Pechmann – etwa zehn- bis zwölftausend Tonnen Frachtgut werden monatlich über den Hafen von Mogadischu importiert.

Um welche Waren es sich dabei im einzelnen handelt, kann die Hafenverwaltung nur auf Treu und Glauben den Informationen der Empfänger entnehmen. „Wir dürfen den Inhalt nicht kontrollieren“, erklärt Pechmann. „Wir dürfen das persönliche Eigentum des Besitzers nicht aufmachen. Das wäre Aufgabe des Zolls.“ Einen Zoll aber gibt es in dem Land ohne Regierung nicht. Allzu sehr muß die Phantasie bei der Vorstellung nicht strapaziert werden, daß auch Waffen unter den Augen und unter dem faktischen Schutz der UNO Somalia erreichen.

Der Abzug der ausländischen Truppen vollzieht sich nach Auskunft der Hafenverwaltung „ruhiger als erwartet“. Es sei mit mehr Plünderungsversuchen und Widerstand der Somalis gerechnet worden. Daß die Lage so bleibt, erwartet Pechmann nicht: „Wir alle können ja nicht vorhersehen, was passiert. Ich habe den Eindruck, daß auch die großen Parteien ihre Milizen nicht mehr so kontrollieren, daß sie ihre eigenen Wege sichern können.“ Einen zumindest vorübergehenden Rückzug auch seiner Organisation aus Mogadischu hält Roland Pechmann für möglich: „Wenn das Welternährungsprogramm geht, dann gehen wir auch.“

„Es hängt davon ab, was Sie unter ,gehen‘ verstehen“, meint WFP-Koordinator Andrew Marshall dazu. „Wir glauben, daß wir an irgendeinem Punkt Mogadischu verlassen müssen und von Nairobi und anderen Orten aus beobachten werden, was geschieht. Wenn es die Situation erlaubt, werden wir zurückkehren. Wenn wir können, werden wir allerdings bleiben. Ich hoffe, daß sich die Lage nicht so weit verschlechtert, daß wir raus müssen.“

Der Abzug der ausländischen Angestellten sei für den 20. Februar geplant, erzählen andere WFP-Mitarbeiter im Vorübergehen, inoffiziell. Die Programme sollen zunächst von somalischen Kollegen weiter betreut werden.

Gepackt wird auch anderswo. „Wir werden wahrscheinlich für einige Wochen das Land verlassen und zurückkommen, wenn sich der Aufruhr beruhigt hat“, sagt Dick Quelette von der Organisation Care. Jean Fabrice Petri von der Internationalen Aktion gegen den Hunger, deren Mitarbeiter Rudi Marcq sich gerade mehr als einen Monat lang in der Hand somalischer Entführer befunden hatte, erklärt: „Wir werden uns neu organisieren, besonders was die Ausländer angeht. Die sollen künftig in Nairobi stationiert sein.“ Die britische Organisation Save the Children ist bereits nicht mehr in Somalia vertreten. Am Tor des ehemaligen Grundstücks ihrer Kollegen von Oxfam hängt ein Schild: „Zu vermieten“.

„Wir haben gesagt, daß wir es für sinnvoll halten, wenn die Ausländer das Land für einige Wochen verlassen und die Situation dann neu beurteilen“, sagt UNO-Sprecher George Rennett, der nicht damit rechnet, daß der Abzug der ausländischen Truppen wirklich erst am 31. März abgeschlossen sein wird. Es dürfte schneller gehen.

Er selbst wird noch im Februar ausreisen, und in diesem Monat werden auch US-Militärs, von denen insgesamt bis zu 8.000 in Somalia erwartet werden, das Kommando über die Operation übernehmen. „Zu allerletzt wird unter US-Führung eine Woche lang der Flughafen geräumt“, kündigt George Bennett an.

Die UNO-Truppen verlassen ein Land, in dem noch immer kaum etwas produziert wird, wo es keine öffentliche Verwaltung gibt und keine staatlichen Institutionen arbeiten, in dem nach wie vor Hunderttausende von Kriegsvertriebenen von ausländischer Hilfe abhängig sind und wo der weitaus größte Teil der Bevölkerung selbst in den Städten weder mit fließend Wasser noch mit Strom versorgt werden kann. Aber es herrscht hier kein akutes Massenelend mehr. Die letzte Ernte war nach Einschätzung von Fachleuten sehr gut, die jetzt zu erwartende gilt als gut.

„Es besteht nicht die Absicht, Somalia im Stich zu lassen“, erklärt George Bennett in Mogadischu. „Das Engagement der UNO für Somalia ist nicht vorbei. Es ist ganz sicher nicht vorbei.“ Unter den Somalis scheint es wenige zu geben, die derartigen Beteuerungen Glauben schenken: Für den Dollar werden inzwischen wieder fast ebenso viele somalische Schilling bezahlt wie vor Beginn der ausländischen Militärintervention im Dezember 1992. Die Preise für importierte Lebensmittel steigen seit Wochen langsam, aber stetig. Ebenso wie die Preise für Gewehre.