Britisches Chloroform zur Beruhigung

Nach dem Aufschrei der nordirischen Unionisten über angebliche Pläne gesamtirischer Behörden versucht Premierminister John Major zu beschwichtigen – mit wenig Erfolg  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Es war ein Drahtseilakt, doch an den Anblick des Abgrunds müßte John Major sich langsam gewöhnt haben. In einer dramatischen Fernsehansprache zur besten Sendezeit versuchte der britische Premierminister am Mittwoch abend, sowohl den nordirischen Friedensprozeß als auch seine eigene Haut zu retten. In seiner fünfminütigen Rede wandte er sich direkt an den unionistischen Bevölkerungsteil Nordirlands und bat um „Zeit und Vertrauen“. Beschwörend versicherte er den Unionisten, daß sie vom gemeinsamen anglo-irischen Rahmenplan für Nordirland nichts zu befürchten haben. „Wir werden Nordirland nichts aufzwingen“, sagte er, „Frieden kann nicht durch Zwang gesichert werden.“

Die Londoner Times hatte am Mittwoch für helle Aufregung bei britischen und irischen PolitikerInnen gesorgt, als sie Teile eines Entwurfes für den Rahmenplan veröffentlichte, der ihnen offenbar aus unionistischen Kreisen zugespielt worden war (siehe taz vom 2.1. 95). Darin ist von einer „gesamtirischen Behörde mit Exekutivgewalt“ die Rede, die mit den Beziehungen der Grünen Insel zu Brüssel betraut werden solle. Das Blatt interpretierte das als ersten Schritt zur irischen Vereinigung – ein rotes Tuch für Nordirlands Unionisten. Der britische Nordirlandminister Patrick Mayhew versuchte am Nachmittag, den Schaden zu begrenzen und sprach von einem „dreifachen Sicherheitsschloß – Parties, People, Parliament“. Die beteiligten Parteien müßten eine Einigung über die künftige Regierungsform in Nordirland erzielen, die danach durch ein nordirisches Referendum abgesegnet und schließlich vom Unterhaus verabschiedet werden müsse.

Die beruhigenden Worte verfehlten ihre Wirkung. Die Demokratischen Unionisten des Presbyterianerpfarrers Ian Paisley reagierten, wie man es von ihnen kennt: Paisley stürmte wütend aus einer live übertragenen BBC- Fernsehdiskussion, nachdem er von dem ehemaligen britischen Staatssekretär Michael Mates wegen seiner unflexiblen Haltung kritisiert worden war, und sein Stellvertreter Peter Robinson schimpfte, daß Major „die nordirische Bevölkerung chloroformieren“ wolle.

Bedrohlicher für Major ist jedoch die Reaktion der Ulster Unionist Party, ohne deren Unterstützung im Unterhaus Majors Minderheitsregierung kaum handlungsfähig ist: „Das veröffentlichte Dokument bedeutet, daß Major nicht mehr auf die Unterstützung der gewählten Repräsentanten aus Nordirland zählen kann“, sagte Roy Beggs von der UUP.

Ganz so weit wollte der Parteivorsitzende James Molyneaux gestern nicht gehen. „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Amtszeit eines Parlaments vorzeitig zu beenden, nur weil vier oder fünf Beamte Amok gelaufen sind“, sagte er. „Es kommt darauf an, welche Entscheidung das Kabinett trifft.“ Eine Neuverhandlung des Rahmenplans, der noch in diesem Monat veröffentlicht werden soll, würde die anglo-irischen Beziehungen jedoch schwer belasten. Bleibt der Plan für die gesamtirische Behörde aber im Dokument stehen, muß Major mit einer Revolte seiner Hinterbänkler rechnen. „Die Regierung steckt in einer tiefen Krise“, sagte einer von ihnen. „Das könnte zum völligen Zusammenbruch führen.“

Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, hat gestern mittag die Vorstandsmitglieder aus dem ganzen Land nach Belfast zu Beratungen zusammengerufen. Sinn-Féin- Vizepräsident Martin McGuinness forderte Major auf, den unionistischen Einschüchterungsversuchen nicht nachzugeben. Die Unionisten hingegen sollten aufhören, sich wie Kinder zu benehmen.