Nowottny: Kanzler weiß nicht, wovon er redet

■ Die SPD will Kohl wegen seiner Aussagen zur ARD vor den Bundestag zitieren / Kritik an der beabsichtigten ARD-Zerschlagung auch in den Reihen der Koalition

Bonn (AFP/dpa) – WDR-Intendant Friedrich Nowottny hat gestern den Vorwurf von Bundeskanzler Helmut Kohl zurückgewiesen, der WDR übe im ARD- Verbund eine dominierende Machtposition aus: Der Kanzler „weiß nicht, wovon er redet“. Wie etwa der Saarländische Rundfunk oder Radio Bremen habe auch der WDR im ARD-System nur eine Stimme. Allerdings sei der WDR mit einem Pflichtanteil von 22 Prozent am ARD-Gemeinschaftsprogramm und mit einer Finanzausgleichsleistung von 44,5 Prozent größter Leistungsträger innerhalb der ARD.

Die SPD hat Kohl wegen seiner ARD-Äußerungen vorgeworfen, seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen zu überschreiten. Mit der Absage an Gebührenerhöhungen und eine Aufhebung der 20-Uhr- Werbegrenze verstieße Kohl gegen die Grundsätze des Verfassungsgerichtsurteils vom Februar 1994 zu den Fernsehgebühren. „Gebührenerhöhungen zu verweigern, nur weil dem Bundeskanzler das Programm nicht gefällt“, sei „ein eindeutiger Verstoß“, erklärte SPD-Bundesgeschäftsführer Verheugen. Ein Kanzler, „der sich so weit von seinem Amtseid und von seinen Amtspflichten entfernt, muß zur Rede gestellt werden und sich vor dem Bundestag verantworten“.

Auch SPD-Chef Scharping kündigte an, die SPD werde den Angriff der Union auf das ARD-Programm „mit allen Mitteln parieren“. Den „Tendenzen hin zu einem unkritischen Regierungsfernsehen“ müsse rechtzeitig Widerstand entgegengesetzt werden.

Ähnlich wie die SPD sprachen auch Bündnis 90/Grüne mit Blick auf die Äußerungen Kohls, Stoibers und Biedenkopfs von einem „Frontalangriff gegen die Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit“. Die PDS kritisierte, der Plan der Union zur Zerschlagung der ARD richte sich „gegen den verbliebenen Informationspluralismus der Bonner Republik“.

Auch aus Reihen der Bonner Regierungskoalition meldeten sich kritische Stimmen. Der FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch warf der Union vor, sie wolle dem WDR Zügel anlegen und schließlich die ganze ARD zerschlagen.

Während sich der Berliner Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen noch beeilte, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, indem auch er eine Reform der ARD anmahnte, signalisierten Edmund Stoiber (CSU) und Kurt Biedenkopf (CDU) unterdes erstmals Kompromißbereitschaft: Im Streit um die ARD sei es nötig, so Stoiber, „zu einem Konsens zu kommen, wohl auch zu einem Kompromiß“. Eine Einigung werde es aber nicht vor Mitte 1996 geben.