Schwert und Schild gegen GAU

■ Akten belegen: Im AKW Rheinsberg kontrollierte die Stasi Betrieb und Störfälle

Berlin (taz) – Tschernobyl war ein Tabu in der DDR. Die Stasi wußte trotzdem bescheid. Die Spitzel in den meist kirchlichen Umweltgruppen hatten schon länger über bedrohliche Dinge in den angeblich sicheren sozialistischen Atomkraftwerken berichtet. Nach der größten Katastrophe der zivilen Atomtechnik glaubte auch Mielkes Ministerium lieber den Staatsfeinden als den Parteifunktionären.

Akten, die diese Woche in der Berliner Gauck-Behörde gefunden worden sind, zeigen, wie ernst die Stasi die Gefahr nahm. Allein im kleinsten und ältesten DDR-Atomkraftwerk Rheinsberg sind nach 1986 sieben Inoffizielle Mitarbeiter angeworben worden. Sie saßen in allen Abteilungen des Kraftwerks, schrieben Berichte über Störfälle und das Verhalten des Betriebspersonals. Eine konspirative Wohnung diente als Treffpunkt der geheimen Wächter. Ihre Aufgabe war in den Richtlinien des Ministeriums genau definiert. Die „Inoffiziellen Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches“ (IMS) hatten „in hohem Maße vorbeugend und schadensverhütend“ zu wirken. Sie sollten „Sicherheitserfordernisse“ nicht nur „rechtzeitig erkennen“, sondern auch „durchsetzen“.

Im Atomkraftwerk von Rheinsberg sollten die Spitzel „unabhängig von der Produktion“ eine „Einschätzung von Signalen (radioaktiver Strahlung) vornehmen“. Beinahe-Katastrophen konnten auch sie nicht verhindern. Am 21. Oktober 1987 erhitzte sich das Kühlwasser so stark, daß der Reaktor um 19.35 Uhr abgeschaltet werden mußte. Zuvor war schon eine Pumpe „außer Betrieb genommen worden“, wie es im Stasi-Protokoll heißt.

So hatte auch die Katastrophe im Block vier von Tschernobyl begonnen. Mehr an westliche Sorgen mit Haarrissen erinnert die Notiz, daß „die Beherrschbarkeit von Rohrbrüchen bzw. -abrissen im Kühlkreislauf“ als „eines der wichtigsten Probleme“ angesehen werden müsse. Lösungen fand auch die Stasi nicht. Immerhin erlaubte die Parteiführung nach 1986, mehr Devisen für den Ankauf westlicher Prüf- und Meßgeräte auszugeben. Im AKW selbst sorgten sich die IMS vor allem darüber, daß „bedeutsame Informationen abfließen“ könnten. Die „Westkontakte“ des Betriebspersonals sollten „eingedämmt“ werden. Tagesthema Seite 3