Gut verstrebt ist halb gelebt

■ Erstmals präsentierte sich die Bremer Tanzchefin Susanne Linke auch als Tänzerin: kühl und streng

Hinterm Concordia-Theater rauscht ein Inter-City vorbei, zieht die Bremse. Stille. Auf der Bühne eine fahl beleuchtete Lichtung, umstanden von nadelspitzen Stahlbäumen. Unheimlich. Auftritt der Tänzerin: in rabenschwarzem Anzug, das Haar mit einer Spange an den Kopf geschnallt, verspannt die Schultern. Ein Arm will ausgreifen, die Tänzerin kann ihn gerade noch rechtzeitig am Handgelenk zurückhalten. Nur der kleine Finger darf sich eigenmächtig abspreizen. Das wird eine qualvolle Stunde, mochten die ZuschauerInnen im ausverkauften Concordia denken. Doch Susanne Linkes Stück „Dialog“, das am Donnerstag Bremer Premiere hatte, besteht aus zwei sehr verschiedenen Teilen.

Wie die bisherigen drei Tanzstücke, die in Bremen zu sehen waren, ist auch „Dialog“ nicht neu, sondern hatte im Mai 1994 seine deutsche Erstaufführung in Remscheid. Linke hat bislang offenbar genug damit zu tun, das neue Ensemble auf ihren Bewegungsstil einzuschwören. Immerhin zeigt sich die Choreographin den BremerInnen erstmals auch als Tänzerin. 51 Jahre ist sie alt. Ein Alter, in dem man einen ungefährdeten Blick auf die eigenen Anfänge und Wurzeln werfen kann – zum Beispiel auf die Arbeit des befreundeten Choreographen und Tänzers Gerhard Bohner (1992 verstorben): Der erste Teil von „Dialog“ hat den Titel „Dialog mit G.B.“. Bohner hatte von 1978-81 zusammen mit Reinhild Hoffmann das Bremer Tanztheater geleitet.

Ein formstrenger Reduktionist: Bohner rackerte sich zum Beispiel mit den geometrischen Kostümen des Bauhauskünstlers Oskar Schlemmer ab, inszenierte das „Triadische Ballett“ neu. Überdachte also die Tradition der Tanzmoderne und schaffte so den Sprung zu einer größeren choreographischen Freiheit. Er entwickelte jedoch auch später immer wieder den Tanz nicht vom Körper her, sondern ging von einer abstrakten Form aus. Linke wiederum versucht nun den Sprung von Bohners einschränkender Formstrenge zur Eigenmächtigkeit des Körpers, zu Impulsen, die von innen kommen.

Ordnet sie sich zunächst den schweren Vierkantstreben des Bildhauers Robert Schad bedingungslos unter, so wird der ironische Unterton im Lauf des Stückes immer lauter. Im ersten Teil jedoch nimmt die Tänzerin zu den Stakkato-Rhythmen John Cages die Kantigkeit des Metalls in die Bewegung. Anpassung pur. Nur zaghafte Versuche, das Metall zu „benutzen“ für eigene Bedürfnisse: Anlehnen, Draufsetzen. Erst als die Tänzerin jeder Richtung der Streben nachgegangen ist, ein bißchen Aufmüpfigkeit: Sie setzt sich auf eine Querstrebe wie auf ein Klo, betrachtet dabei ihre Fingernägel. Und wird dann doch wieder überwältigt von der herrschenden Struktur, endet zuckend zwischen den Streben.

Dann aber, nach der Umbaupause, der zweite Teil, „Carte blanche für S.L.“: Die Tänzerin mit gelöstem Haar, erwärmt von goldenem Lichtstrahl (Licht: Michael Wagner). Die Metallbäume abgesägt am Boden. Geigen singen süß (Arvo Pärt), ganze Wogen rauschen heran. Die Tänzerin kreiselt nun erstmals um den eigenen Mittelpunkt, hüpfelt gar über die Streben hinweg, sucht nach einer eigenen Ordnung für ihren Bewegungsdrang. Traut sich sogar, die Stahlstücke wie Möbel zu rücken. Nach dem Motto: eine Ordnung ist zwar da, aber nicht unverrückbar. Zum Rausch wird aber auch dieser Teil der Vorstellung nicht – nur die Musik braust.

Und dann läßt sich ausgerechnet das kleinste, kaum handgroße Metallstück nicht umstandslos umsetzen – es zieht die Tänzerin zu Boden; die versucht in köstlich clowneskem Getorkel, wieder Subjekt ihrer Welt zu werden. So leicht schüttelt man die Tradition eben nicht ab. Aber wenn man sie schon nicht los wird, so kann man doch mit ihr spielen.

Was Susanne Linke hier zeigt, ist ein durchaus nicht unangenehmer Kontrast zum Tanztheater der letzten Jahre in Bremen: nach dem manchmal sehr bemühten Beziehungstheater von Heidrun Vielhauer/ Rotraud de Neve, dem ästhetischen Kulinarismus Reinhild Hoffmanns und dem politischen Haudrauf-Theater Kresniks nun Besinnung auf einfache Schritte und ihre Entwicklungsmöglichkeiten.

Und was bleibt nach der Auseinandersetzung mit der Tradition? Linke hat den Programmzettel mit einem Zitat Bohners überschrieben: „Ich komme da her, wo die innere Bewegung der Impuls ist für die Bewegung wie für das Gefühl. Mein Wunsch ist, beides in eine Form zu bringen.“ Ein bißchen haben wir am Donnerstag das Gefühl vermißt. So blieb uns Susanne Linke, trotz gerade mal fünf Meter Abstand zwischen ihr und dem Publikum, doch immer noch ein wenig fremd. Christine Holch Nächste Vorstellung von „Dialog I & II“: Heute, 20 Uhr, Concodia